Christen auf der Schlachtbank, doch die Welt schweigt

US-Luftangriffe werden nicht reichen, um die Terrorwelle im Irak zu stoppen.

Der Nahe Osten und Teile von Zentralafrika verlieren gerade ganze christliche Gemeinden, die dort jahrhundertelang in Frieden gelebt haben. Die Terrorgruppe Boko Haram hat im Norden Nigerias allein heuer Hunderte von Christen entführt und getötet. Während des nun schon mehr als drei Jahre dauernden Bürgerkriegs in Syrien wurden von dort eine halbe Million christlicher Araber vertrieben. Vom Libanon bis in den Sudan wurden Christen verfolgt und getötet.

Historiker werden möglicherweise einmal auf diese Zeit zurückblicken und sich fragen, ob die Menschen ihre Orientierung verloren haben. Nur wenige Journalisten sind in den Irak gereist, um Zeugen der mit dem Wüten der Nazis vergleichbaren Terrorwelle zu sein, von der dieses Land überrollt wird. Die Vereinten Nationen blieben größtenteils still.

Die Regierenden der Welt scheinen in diesem seltsamen Sommer 2014 mit anderen Dingen beschäftigt zu sein. Es gibt keine Flottillen, die nach Syrien oder in den Irak aufbrechen. Und all die schönen Prominenten und alternden Rockstars – warum werden deren soziale Antennen nicht von der Abschlachtung von Christen aktiviert?

Präsident Barack Obama sollte dafür gelobt werden, dass er Luftangriffe angeordnet hat, um Zehntausende von Yeziden zu retten, die von sunnitischen Fanatikern bedrängt werden. Leider reichen Luftangriffe allein nicht aus, um die Terrorwelle zu stoppen.

Gut geölte Mordmaschine

Der Islamische Staat ist keine lose Vereinigung von Jihadistengruppen, sondern eine echte militärische Kraft, die es geschafft hat, Teile Syriens und des Irak zu erobern. Die Terrororganisation verwendet das Geld von Banken und das Gold aus Geschäften in Städten, die sie erobert hat. Dazu kommt die Kontrolle über Ölressourcen und Lösegelderpressungen, um ihre Mordmaschine zu finanzieren. Sie ist inzwischen vermutlich die reichste islamistische Terrorgruppe der Welt. Womit der IS aber wirklich herausragt, sind seine Gemetzel, die es leicht mit mittelalterlichen Mordorgien aufnehmen können. Diese richten sich rücksichtslos gegen Schiiten, Kurden und Christen.

Schamlose Gleichgültigkeit

„Sie haben tatsächlich Kinder enthauptet und deren Köpfe auf einen Stock gespießt“, berichtet ein chaldäisch-amerikanischer Geschäftsmann namens Mark Arabo dem Sender CNN. Er beschrieb eine Szene in einem Park in Mossul.

Zuletzt flüchteten 200.000 Aramäer aus ihrer angestammten Heimat rund um Ninive, nachdem sie bereits aus Mossul geflohen waren. Die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber dem IS mit seinen Massenhinrichtungen von Christen und seiner tödlichen Auseinandersetzung mit Israel ist nicht nur falsch, sondern schamlos.

Israel war unter den ersten Ländern, die den Christen im Südsudan zu Hilfe kamen. Im Unterschied zu vielen Regionen des Nahen Ostens können Christen in Israel ihre Religion offen ausüben. Dieses Band zwischen Juden und Christen hat absolut Sinn. Wir teilen viel mehr miteinander als die meisten Religionen. Wir lesen die gleiche Bibel und teilen moralische und ethische Grundwerte.

Leider teilen wir nun eine Form des Leids: Christen müssen wegen ihres Glaubens sterben, weil sie wehrlos sind und weil die Welt ihrem Leid gleichgültig gegenübersteht. Gute Menschen müssen sich zusammentun und dieser abscheulichen Gewaltwelle ein Ende setzen. Denn es ist nicht so, dass wir machtlos sind. Jüdische Menschen verstehen nur allzu gut, was passieren kann, wenn die Welt schweigt. Diese Mordkampagne muss gestoppt werden.

Ronald S. Lauder war 1986/87 US-Botschafter in Österreich. Er ist derzeit Präsident
des Jüdischen Weltkongresses (WJC).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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