Wie aus Flüchtlingen gute „Brückenbauer“ werden können

Integrationspolitik: Ohne moderne Assimilation gibt es keine Anpassung.

Integration ist ein natürlicher Prozess, den man seitens der Politik genauso wenig wie die Geburtenrate steuern kann. Deshalb haben die Vorschläge des Politologen Bernhard Perchinig, die vor Kurzem in der „Presse“ publiziert wurden, keinen Bezug zum realen Leben. Der Autor hätte stattdessen die (alt-)österreichische Praxis studieren sollen.

Seit Mitte des 19. bis zu den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen rund drei Millionen Migranten, Arbeit- und Asylsuchende aus den „Kronländern“ nach Österreich. Für die damalige Integration benötigte man keine politische, sondern nur eine wirtschaftliche Hilfe; aus uns allen sind „gute Österreicher“ geworden.

Perchinig meint, dass die heutigen Migranten eine „Brückenbauer“-Funktion haben und vergisst darauf, dass man „Brücken“ immer von zwei Seiten her bauen muss. Auch die kostspieligste „Integrationspolitik“ wird bei den integrationsunwilligen Türken, die trotz österreichischer Staatsbürgerschaft nur türkische Medien konsumieren und unter türkischen Fahnen feiern und protestieren, nichts bewirken. Am allerwenigsten eine „Brücken“-Funktion.

Zwei große Hemmfaktoren

Wir kennen in der Soziologie die beiden größten Hemmfaktoren der Integration: die Familienzusammenführung und die Religion. Während die Familienzusammenführung gänzlich ohne soziale Abgrenzung läuft – in einsprachigen Familien, selbst wenn es sich um Akademiker handelt, wird die Integration gehemmt –, stört der Islam nur in unteren sozialen Schichten die Anpassung.

Experten wissen, dass es ohne Assimilation keine Anpassung gibt. Wenn der langjährige türkische Ministerpräsident und jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan „seine“ Landsleute in Europa vor dem Schreckgespenst der „Assimilation“ warnt, dann kennt er die Form der modernen Assimilation nicht; die sogenannte Doppel-Loyalität: Anpassung nach außen, Beibehaltung der mitgebrachten Kultur nach innen.

So sind, um nur ein Beispiel zu nennen, aus den 56er-Ungarn-Flüchtlingen nicht nur gute, sondern auch erfolgreiche Österreicher geworden. Aus diesen mittlerweile alt gewordenen Neo-Österreichern sind wirklich gute „Brückenbauer“ zum heutigen Ungarn geworden. Und genau davon profitieren beide Länder. Das ist die einzige, weil natürliche, von der Politik unbeeinflusste Form einer erfolgreichen Integration.

Die wahre Tragödie

Bernhard Perchinig drückt sich zwar vorsichtig, im Sinne der „Diktatur der politischen Korrektheit“ aus, doch muss er selbst zugeben, dass „der Mangel an Integration die Transnationalität fördert“. Hinter dem vorsichtigen Begriff der „Transnationalität“ versteckt sich die wahre Tragödie junger, in Österreich lebender Türken und Tschetschenen: das kulturelles Vakuum.

Perchinig glaubt, dass die „Integrationsbotschafter“ in den österreichischen Auslandsvertretungen etwas „Neues“ sind. Weit gefehlt. Jahrzehntelang unterhielt das Wiener Außenministerium „Sozial-Attachés“, die Sprache und Kultur ihrer Einsatzländer gut kannten; sie waren allerdings alle Diplomaten.

Selbst die Gastarbeiter-Anwerbestellen der 1960er-Jahre unterlagen einem fatalen Irrtum. Die heute noch spürbaren Probleme begannen, wie schon erwähnt, mit der verhängnisvollen „Familienzusammenführung“. Auch die Entstehung heutiger Parallelgesellschaften können wir dieser verfehlten Politik danken.

Professor Dr. Peter Stiegnitz ist 1956 aus Ungarn geflüchtet. Er ist Migrationssoziologe, Publizist, Ministerialrat im Ruhestand des Bundeskanzleramtes und emeritierter Professor der Universität Budapest.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2014)

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