Wien: Muslimische Schüler unter Generalverdacht

Das Misstrauen gegenüber Muslimen im Bildungssystem schadet nur.

Auf Anweisung von Wiens Stadtschulrätin Susanne Brandsteidl haben Direktoren an allen Wiener Schulen verkündet: Wenn sich Schüler stark veränderten und ein Verdacht auf Extremismus bestehe, müsse sofort die Direktion eingeschaltet werden; diese wendet sich ihrerseits an Schulpsychologen oder die Polizei.

An sich ein gutes und wichtiges Ziel: Es geht um den Schutz von Schülerinnen und Schülern, die gewalttätig werden könnten, anstatt in einem Land voller Chancen ebendiese wahrzunehmen. Es geht darum, junge Menschen vor sich selbst und vor falschen Entscheidungen zu schützen.

Der Schritt des Stadtschulrates wäre begrüßenswert, wenn eine wichtige Voraussetzung sinnvoller Zusammenarbeit erfüllt wäre: Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Es ist bezeichnend für diese (maßlose) Präventivmaßnahme, dass der Stadtschulrat für die unmittelbaren Beobachter keine Handreichung oder Fortbildung zur Verfügung stellt.

Die zu diesem Thema mit Sicherheit völlig überforderte Lehrerschaft diskutiert über Schüler, die einen Turban tragen (und gar keine Muslime sind) oder über Schüler, die beginnen, zu beten oder ein Kopftuch zu tragen – schlicht alltägliche Religionspraxis.

Übereilter Vorstoß

In einer Atmosphäre, in der Muslime ohnehin schon unter Generalverdacht stehen und islamfeindliche Tendenzen zunehmen, wird es ungeschulten Personen aufgetragen, über muslimische Schüler zu urteilen. Welche Atmosphäre entsteht in der Schule, wenn aufgrund einer üblichen religiösen Praxis ein Schulpsychologe herbeigerufen wird? Wie fühlen sich muslimische Schüler, wenn sie von der Lehrerschaft als potenzielle Gefahr gesehen werden?

Der Stadtschulrat für Wien hat es mit dem übereilten Vorstoß verabsäumt, auch jene als Partner zu gewinnen, die in den Schulen oft als Einzige qualifiziert sind, alltägliche Religionspraxis von Extremismus zu unterscheiden: die islamischen Religionslehrer. Mit Sicherheit würde eine Einbeziehung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und anderer Experten bessere Ergebnisse ermöglichen.

Gefahr für das Zusammenleben

In einem Schreiben an die Religionslehrer stellte IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac seinen eigenen Maßnahmenkatalog vor, der von Unterrichtsmaterialien, Fortbildungsangeboten für Lehrer bis hin zur Aufstellung von jugendlichen Peer Groups reicht.

Gerade die muslimische Gemeinschaft hat das größte Interesse daran, die Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen zu verhindern. Schließlich sind es unsere Jugendlichen, die wir verlieren und die zu Vollstreckern abscheulicher Gewalttaten werden. Sie stellen zudem eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben in Österreich dar, weil sie dem Ansehen der Muslime schaden und für eine islamophobe Stimmungsmache sorgen.

Die IGGiÖ kann das Problem der radikalisierten Jugendlichen nicht allein lösen, aber sie muss in den Prozess eingebunden werden. Bei Radikalismus oder Extremismus verurteilt man schnell pauschal alle Muslime, geht es aber um Lösungsvorschläge, werden Muslime ignoriert.

Die Worte von Integrationsminister Sebastian Kurz, „Religion ist ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems“, sollten sich diejenigen ganz besonders zu Herzen nehmen, die im Bildungssystem arbeiten. Die österreichisch-islamischen Beziehungen brauchen kein Misstrauen und ideologisch vorbelastete Einstellungen, sondern vertrauensvolle Beziehungen und eine gute Zusammenarbeit.

Mag.a Dudu Kücükgöl ist Interne Revisorin und Doktorandin. Sie war lange Jahre in der Jugendarbeit tätig. Sie referiert zu den
Themen Feminismus, Islam und Integration.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)

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