Steuerreform: Ring frei zur nächsten Runde

Was können und wollen wir vom Staat legitimerweise einfordern – und was sind wir bereit, dafür zu bezahlen? Sicher ist: Ohne Anspruchskürzungen in allen Bereichen wird es in einer stagnierenden Wirtschaft nicht gehen.

Es war ein symbolisches Bild: Der alte Finanzminister überreichte dem neuen bei der Amtsübergabe ein Paar Boxhandschuhe mit der Bemerkung, dass er sie bei der Lösung der anstehenden Probleme im Finanzressort wohl brauchen werde.

Das medial vermittelte Hauptproblem ist offensichtlich: Medien verkündeten irgendwann im August, dass die österreichische Bevölkerung bis jetzt nur für den Staat gearbeitet habe, die arbeitenden Menschen somit an der Grenze steuerlicher Belastung nicht nur angekommen seien, sondern sie bereits überschritten hätten.

Das stimmt insofern schon nicht, als nur etwa ein Drittel der Bevölkerung aus der Erwerbsarbeit resultierendes Einkommen versteuern muss. Das Bild ist allerdings auch nicht ganz stimmig, da die österreichische Bevölkerung – Belastungsquote hin, Belastungsquote her – für ihre Steuerleistung sehr viel an staatlicher Leistung (fast) gratis bekommt:

Problem Gegenfinanzierung

Da ist der freie Zutritt zu Schulen und Universitäten, da ist ein äußerst effektives Gesundheitssystem mit marginaler Kostenbeteiligung, gleichermaßen eine breit gestreute Mobilitätsinfrastruktur von Straße und Bahn (Letztere mit vielfachen sozialen Fahrkartenermäßigungen); da ist ein Justizsystem mit neu gewonnenem Profil, ein bis auf das Bundesheer einigermaßen funktionierender Sicherheitsapparat, ein Sozialnetz, das viele auffängt, Pensionen, die im Vergleich zu anderen Industriestaaten relativ hoch sind und früh angetreten werden. Somit: hohe Abgaben, aber auch hohes Angebot an staatlicher Gegenleistung.

Die Frage notwendiger Reformen hat sich bisher auf das Einnahmen-, sprich Steuersystem, konzentriert. Der Stand der Diskussion und bisheriger Schattenboxrunden ist schnell zusammengefasst. Ja, die Belastung ist hoch, vor allem stark konzentriert auf den Faktor Arbeit mit kontraproduktiven Nebenwirkungen auf den Arbeitsmarkt; Vermögen sind gering besteuert, was im internationalen Vergleich aber im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass Grundsteuern niedrig sind. Bisherige Reformvorschläge sind vorhanden, aber in ihren Wirkungen und Dimensionen umstritten: Um fühlbar zu sein, braucht man eine Reduktion der Lohn- und Einkommensteuereinnahmen im Ausmaß von etwa fünf Milliarden Euro durch Senkung des Eintrittssteuersatzes, Ausgleich der kalten Progression, Steuervereinfachung bei verbreiterter Steuerbasis.

Das sowohl politische als auch ökonomische Problem besteht in der Gegenfinanzierung: Reine Vermögensteuern klingen gut, bringen aber nur wenig. Eine Erhöhung der Grundsteuern lässt sich gut rechtfertigen, wenn man aber den Agrarbereich, die Kirchen und die „kleinen Häuselbauer“ davon befreit, bleibt nicht mehr viel übrig. Zusätzlich ergeben sich bei den Übrigen offene Fragen der Überwälzungsmöglichkeiten.

Verschleiernde Argumente

Insgesamt: Eine Reform des Steuersystems mag in Teilbereichen sinnvoll sein, kann aber nur unter sehr heroischen ökonomischen und politischen Annahmen ausreichend gegenfinanzierend wirken. Auch Umverteilungen größeren Ausmaßes sind nicht zu erwarten – im Wesentlichen werden von denselben Menschen die Steuern eben aus der anderen Tasche bezahlt. An der Belastungsquote würde sich nichts ändern.

Bleiben die zusätzlichen verschleiernden Standardargumente: Verwaltungseinsparungen und „Strukturreformen“ sollen die Steuerentlastung so unterstützen, dass das Budgetdefizit EU-kompatibel bleibt.

Ersteres ist das klassische Verschleierungsargument: Wie sollten plötzlich vielfältige unterschiedliche Verwaltungskörper dazu gebracht werden, in der kurzen Zeit bis 2016, bis zu der der Haushalt strukturell ausgeglichen sein soll, Effizienzsteigerungen im Ausmaß der notwendigen Gegenfinanzierung umzusetzen? Dazu wären unwahrscheinliche Produktivitätszuwächse im stark interessenabgesicherten öffentlichen Bereich nötig. Das soll nicht heißen, dass solche nicht mittel- bis langfristig sinnvoll und möglich sind, wohl aber, dass sie keine kurzfristigen Lösungen in der Debatte um die Finanzierung einer Steuerreform darstellen.

Zauberformel Strukturreform

Damit sind wir bei den „Strukturen“. Hier sei an Fritz Machlup, Ökonom der Österreichischen Schule erinnert, der in den 1950er-Jahren auf den Leercharakter des Wortes verwiesen hat, das immer dann gebraucht wird, wenn es darum geht, eine Festlegung auf einen klaren Gedanken zu umgehen: Das Wort „Struktur“ wird in gebildeten Kreisen ähnlich wie der Satz „Verstehst mich eh“ im allgemeinen Jargon verwendet.

Was ließe sich sinnvollerweise darunter verstehen? Zunächst, dass wir – auch auf kürzere Frist – eine Entsprechung von Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand brauchen: Entweder wir behalten das jetzige Niveau von Steuern bei und lukrieren auch weiterhin alle vom Staat angebotenen Güter und Dienstleistungen; oder wir zahlen insgesamt weniger an Steuern, verzichten dann aber zumindest in Teilen auf dessen Ausgaben.

Und hier beginnt die eigentliche Diskussion um Strukturreformen: Zu glauben, bei verminderter Steuerleistung ist ein gleich bleibendes Angebot möglich, ist eine Illusion – so schnell lassen sich Strukturen nicht reformieren.

Damit: Welche Staatsausgaben und -aufgaben sind reduzierbar, in welcher Form, in welchem Zeithorizont, mit welchen Haupt- und Nebenwirkungen, mit welchen mittel- bis langfristigen Produktivitätsanstiegen, mit welchen Ausgliederungen (um das Reizwort Privatisierungen zu vermeiden)?

Widerstand in Kernbereichen

Die Kernbereiche – und ihre Kürzungsprobleme – sind schnell aufgezählt: Infrastruktur, Bildung, Forschung gelten als Wachstumstreiber und sind sakrosankt. Wie sich im Frühjahr gezeigt hat, stoßen selbst marginale Verwaltungseinsparungen im Bildungsbereich sofort auf heftigen Widerstand; Universitäten und Forschungsinstitutionen fühlen sich ohnedies schon jetzt als unterdotiert.

Der Sozialbereich wiederum wird von Caritas, Diakonie, Volkshilfe unter Verweis auf die für sie auch in Österreich grassierende Armut vehement verteidigt – jede Kürzung wäre ein Verstoß am sozialen Abendland (wie christlich auch immer). Pensionistenverbände lassen sich bestenfalls eine Hinaufsetzung des Antrittsalters abringen, jedoch keinen Wertverlust bestehender Pensionen. Sicherheit ist in Zeiten zunehmender gefühlter Unsicherheit weiterhin prioritär zu besetzen.

Damit wird die „Steuerreform“ zu einer breiten politischen Diskussion um das, was wir vom Staat legitimerweise einfordern können und wollen – und was wir bereit sind, dafür zu bezahlen. Ohne Anspruchskürzungen in allen Bereichen wird es in einer stagnierenden Wirtschaft nicht gehen. Nicht nur der Finanzminister wird Boxhandschuhe für die Durchsetzung von Strukturreformen brauchen. Verstehn S' mich eh?!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Steiner
(* 1951 in Bruck/Mur) studierte Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Graz. Er ist Professor am Institut für Volkswirtschaft der Karl-Franzens-Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Wirtschaftspolitik, Regionalökonomie, Technologischer Wandel, Industrieökonomie und Finanzwissenschaft. [ Breitfuss ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2014)

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