Iranisches Gas ist unverzichtbar

Iran hält nach Russland die zweitgrößten gesicherten globalen Erdgasreserven. Zugriff auf dieses Gas ist für die EU unerlässlich.

Die EU ist stark vom Import fossiler Brennstoffe abhängig, immer mehr auch bei Erdgas. Angesichts der Importabhängigkeit im Gassektor von nur wenigen Anbietern ist die EU sehr daran interessiert, sowohl Gasversorger als auch Gasversorgungsrouten zu diversifizieren. Ein Schlüsselprojekt ist dabei die Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus dem nahöstlich-kaspischen Raum in die EU führen soll; vom türkischen Erzurum über Bulgarien, Rumänien, Ungarn bis zur Gasverteilerplattform in Baumgarten.

Das von der OMV geführte Betreiberkonsortium konnte bislang keine ausreichenden Gaslieferverträge abschließen. Erdgas aus Aserbaidschan ist für die erste Ausbaustufe die zentrale Bezugsquelle. Doch Nabucco muss zusätzlich auf andere Lieferländer zurückgreifen. Das kann auch Russland sein, auch wenn damit das strategische Ziel der Lieferländerdiversifikation aufgeweicht würde. Die erste Option für das Nabucco-Konsortium ist daher turkmenisches Erdgas. Doch auch Turkmenistan wird zumindest auf absehbare Zeit kein ausreichend hohes Fördervolumen für Nabucco bereitstellen können. Zudem müsste dazu eine Pipeline von Turkmenistan nach Baku geführt werden; aufgrund des umstrittenen völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres ein schwieriges Vorhaben. Darüber hinaus verhandelt Turkmenistan derzeit auch über den Ausbau seines Exportvolumens in den nördlichen Iran und an der TAPI-Leitung, mit der turkmenisches Gas über das westliche Afghanistan nach Pakistan und Indien exportiert werden soll.

Zusätzlich zum turkmenischen könnte auf ägyptisches Erdgas zugegriffen werden, das derzeit bis nach Syrien transportiert wird. Diese „Arabische Gaspipeline“ soll in die Türkei verlängert werden, wo deren Gas in Nabucco eingespeist werden kann. Die Türkei könnte das Gas aber auch im Mittelmeerhafen von Ceyhan in Flüssiggas (LNG) umwandeln und auf dem Seeweg exportieren. Langfristig ist auch denkbar, dass das große, noch unerschlossene Gasfeld Akkas in West-Irak über die Arabische Gaspipeline in die Türkei geführt und in Nabucco eingespeist werden könnte.

Für die Rentabilität von Nabucco ist eine Transportmenge von 31 bcm (Milliarden Kubikmeter) erforderlich. Aus derzeitiger Sicht kann dieses Volumen ohne iranisches Erdgas nicht erzielt werden. Iran hält nach Russland die zweitgrößten gesicherten globalen Erdgasreserven (16 Prozent). Bis zu 60 Prozent davon liegen in dem weitgehend unerschlossenen Feld „South Pars“. Zugriff auf dieses Gas ist für die Energiesicherheit der EU strategisch unerlässlich. Investitionen der OMV in den iranischen Gassektor sind daher sinnvoll.

China, Indien, Japan wollen das Gas

Vorbehalte gegen das iranische Regime und sein Vorhaben, eine nukleare Waffenoption zu entwickeln, sind nachvollziehbar. Deswegen aber die Zusammenarbeit im Energiesektor zu blockieren, ist aus strategischen Überlegungen nicht zweckmäßig. Zwar ist es richtig, dass die steigende Exportkapazität im Gassektor für Iran zusätzliche Exporteinnahmen ermöglicht. Allerdings haben nicht nur EU-Konzerne Interesse an den iranischen Erdgasvorkommen. Indien, China und mittelfristig auch Japan streben erhebliche Gasimporte aus Iran an. Die Errichtung eines Leitungsnetzes von Iran über Pakistan nach Indien – die sogenannte „Friedenspipeline IP“ – könnte auch nach China verlängert werden. Auch ist ein Ausbau der Flüssiggas-Kapazitäten Irans zu erwarten, wodurch zusätzliche Exportmärkte erschlossen werden können. Auch die russische Gazprom schickt sich an, in den iranischen Markt massiv einzusteigen. Das iranische Regime wird also ohnehin aus dem Gasexport zusätzliche Exporteinnahmen gewinnen können.

Es stimmt natürlich, dass die europäische Fördertechnologie der chinesischen deutlich überlegen ist; richtig ist auch, dass Iran kein Interesse hat, nur nach Osten führende Exportleitungen aufzubauen. Aber genau daraus ergibt sich das gemeinsame Interesse Irans und der EU im Gassektor. Investitionen der OMV in der iranischen Gaswirtschaft sind v.a. aus Energiesicherheitserwägungen der EU unabdingbar.

Neben der USA hat auch Russland kein Interesse am Erdgasexport Irans in die EU. Gazprom möchte den europäischen Markt exklusiv bedienen und wird alles daran setzen, Irans Gasexporte in die EU zu blockieren und nach Osten zu leiten. Der Verzicht der EU auf iranisches Gas wäre daher ein törichter Beitrag zur Errichtung eines Gaskartells, das erheblichen Preisdruck auf den europäischen Gasmarkt bewirken könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2008)

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