Ein böses Lebewesen namens Israel

Fritz Edlinger imaginiert Israel zum ideellen Gesamtjuden – und dieser ist natürlich so, wie Antisemiten sich Juden vorstellen: Zum Gastkommentar „Ein propagandistischer Tsunami“ (26.Juni).

Fritz Edlinger weiß genau, was ein „aggressiver und illoyaler Staat“ ist. Richtig geraten: Israel. Ansonsten von seinesgleichen meist als „landgestützter Flugzeugträger des US-Imperialismus“ im Nahen Osten betrachtet, sieht Edlinger das Verhältnis Israels zu den USA offensichtlich anders als viele linke Antiimperialisten und Antizionisten. Denn er wirft den Israelis keineswegs vor, die Interessen des „US-Imperialismus“ im Nahen Osten zu vertreten, sondern im Gegenteil „nur eine einzige Loyalität“ zu kennen, „nämlich gegenüber sich selbst und dem zionistischen Charakter des Staates Israel“. Man stelle sich diesen Vorwurf einmal auf andere Staaten umgelegt vor. Bestünde das größte Problem mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinejad oder meinetwegen der österreichischen Bundesregierung darin, nur gegenüber dem Iran oder eben Österreich loyal zu sein, würden diese Regierungen wohl nichts anderes tun als das, wofür sie im Amt sein sollten, nämlich souverän zu regieren. Was für jeden anderen Staat der Welt selbstverständlich ist, darf für Israel nicht sein.

Doch warten wir mit zu schnellen Vergleichen. Fritz Edlinger richtet diesen ach so ungeheuerlichen „Vorwurf“ nicht an die israelische Regierung, sondern an „Israel“. Und dieses „Israel“ ist es, was er einen „aggressiven und illoyalen Staat“ nennt. Was versteht Edlinger darunter und welche Belege führt er dafür an, bzw. was macht einen Staat zu einem aggressiven und illoyalen?

Ein Staat mit Gefühlen!

Edlinger dürfte damit etwas gelungen sein, was elaborierte staatstheoretische Debatten in der Politikwissenschaft um eine sensationelle neue Staatstheorie erweitern könnte: Die edlingeristische Staatstheorie stattet Staaten erstmals mit Gefühlen aus. Sie können aggressiv oder friedliebend sein, liebevoll oder aufbrausend, vielleicht auch lustig, langweilig oder depressiv. Auf jeden Fall können solche mit Gefühlen ausgestattete Staaten auch loyal oder illoyal sein, treu oder treulos. Und sie können auch denken, denn dieser aggressive und illoyale Staat ist „bei weitem nicht der rational handelnde, berechenbare und seinen Unterstützern loyale Partner“, den andere denkende und fühlende Staaten gerne hätten. So wird sich also jeder gutherzige, mitfühlende und mitdenkende Staat mit Grausen von einem solch aggressiven und illoyalen Mitspieler abwenden, der noch dazu unter Verfolgungswahn leidet und aller Welt weismachen will, dass ihm seine Vernichtung angedroht wird.

Die edlingeristische Staatstheorie scheint Ihnen etwas seltsam? Ich vermute, sie würde auch ihrem Schöpfer seltsam erscheinen. Denn Fritz Edlinger, mit seiner Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB) seit Jahren umtriebigster Lobbyist arabischer Regime in Österreich, schreibt so weder über Österreich, Syrien, den Sudan, China oder die Mongolei. Als organisches Lebewesen, dem moralisches Totalversagen zugeschrieben wird, kennt er nur einen Staat, nämlich Israel.

Deshalb wird Edlinger nicht als Theoretiker einer neuen Staatstheorie in die Geschichte eingehen, sondern bestenfalls als Fußnote in wissenschaftlichen Arbeiten über den österreichischen Antisemitismus in Erinnerung bleiben. Israel nicht mit denselben Maßstäben und Methoden zu analysieren und zu kritisieren, mit denen andere Staaten unter die Lupe genommen werden, kann nur als anti- oder philosemitisch gewertet werden. Während auch Fritz Edlinger zu Recht beim Iran und jedem anderen Staat zwischen unterschiedlichen Akteuren und Interessen innerhalb des Staates unterscheidet, will er in Israel partout kein historisch entstandenes Herrschaftsgebilde sehen, in dem sich unterschiedlichste gesellschaftliche und politische Kräfte, Klassen und soziale Schichten zu einem Staat verdichten. Wofür er damit in jedem anderen Staat bestimmte Akteure verantwortlich machen würde, lastet er im Falle dieses einen – und nur dieses einen – Staates einem halluzinierten Gesamtgebilde an, dessen moralisches Versagen er damit aufzudecken versucht. Genau dieses Messen mit völlig unterschiedlichen Maßstäben, das Israel zum ideellen Gesamtjuden imaginiert, ist, was der große Historiker des Antisemitismus, Léon Poliakov, meinte, als er Israel als „Jude unter den Staaten“ bezeichnete.

Gierig, mächtig, illoyal

Und dieser Jude ist selbstverständlich so, wie sich Antisemiten nun einmal Juden vorstellen: gierig, mächtig, geldgierig, aggressiv und noch dazu illoyal. Wer diesen Staat solcherart zur Projektionsfläche für seinen Antisemitismus macht, ist außerstande, sich seriös mit der – auch in Israel – juristisch aufgearbeiteten Lavon-Affäre oder den bis heute ungeklärten Ereignissen um die USS Liberty (nicht „SS Liberty“, wie Edlinger schreibt) zu beschäftigen. Das gilt umgekehrt auch für jene, die in Konferenzen auf universitärem Boden Nuklearschläge gegen den Iran fordern. Eine ernstzunehmende Beschäftigung mit Politik und Gesellschaft im Nahen Osten würde einen scharfen und kritischen Verstand, Interesse an den konkreten Gesellschaften der Region und den Zugang zu entsprechenden Quellen benötigen, nicht ein reflexartiges Ressentiment, das nicht darüber hinauskommt, „bedenkliche und gefährliche Entwicklungen“ für „bedenklich“ zu halten, wenn diese in Israel stattfinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2008)

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