Was Iran nicht darf, soll Indien dürfen

Der globalen nuklearen Abrüstung droht ein Desaster.

In Wien findet derzeit ein Treffen der 45 Staaten der Nuclear Suppliers Group (NSG) statt. Zur Diskussion steht ein US-Vorschlag einer Ausnahmeregelung von NSG-Exportbeschränkungen für Indien. Nukleartechnologie und -material können dann nach Indien exportiert werden. Dahinter verbirgt sich eine politische Entscheidung von großer Tragweite. Experten warnen vor einem Desaster für globale nukleare Abrüstungsbemühungen.

Indien steht seit vierzig Jahren außerhalb des Abrüstungsregimes. Den Atomwaffensperrvertrag (NPT) von 1968 hat es nicht unterzeichnet; ebenso den Atomteststoppvertrag. Anders als die fünf im NPT anerkannten Nuklearwaffenstaaten, China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA, kam Indien mit der Entwicklung seiner Atomwaffen quasi zu spät. Sein Atomstatus wurde nie akzeptiert. Die NSG wurde 1974 auf Initiative der USA als Reaktion auf dem ersten Indischen Atomtest gegründet. Auch die Tests von Indien (und Pakistan) 1998 führten zu Verurteilungen durch den Sicherheitsrat.

Die USA begründen ihren abrupten Sinneswandel mit Indiens Nichtverbreitungsverhalten und der aufstrebenden Rolle der bevölkerungsreichsten Demokratie. Tatsächlich hat Indien, im Gegensatz zu Pakistan, einen „clean non-proliferation record“. Hinter dem Nukleardeal stehen aber klare Wirtschaftsinteressen. Indiens Wachstum ruft nach Energie und bietet lukrative Geschäfte. Die Nuklearkooperation ist aber auch Teil einer entstehenden strategischen Achse Washington–New Delhi. Aus US-Sicht spielt da wohl ebenso die Überlegung eine Rolle, ein strategisches Gegengewicht zu China aufzubauen. – Wo liegt nun das Problem des Nukleardeals?

Nuklearmacht ohne Spielregeln

Der Deal droht den NPT-Grundkonsens zu zerstören. Was Indien angeboten wird, steht seit Jahrzehnten nur Staaten offen, die sich an die Spielregeln, sprich den NPT, halten. Bis jetzt galt die Gleichung: keine Atomwaffen gegen zivile Nuklearkooperation. Die indische Gegenleistung für künftige Nuklearimporte beschränkt sich auf die Zusage, dies nur zu nicht-militärischen Zwecken zu verwenden. Die als zivil designierten Nuklearanlagen können von der Atombehörde inspiziert werden. Weitergehende rechtliche Abrüstungsverpflichtungen Indiens finden sich nicht. Das Resultat ist eine De-facto-Anerkennung Indiens als Nuklearmacht, ohne nennenswerte Konzessionen. Viele Kritiker des Deals sagen, die USA hätten sich von Indien über den Tisch ziehen lassen.

Wie wird die Reaktion jener Staaten ausfallen, die sich an die Verträge halten, wenn Intransigenz offenbar auf lange Sicht belohnt wird? Sind nicht all jene Staaten, die auch deshalb dem NPT beigetreten sind, um von Nuklearkooperation für zivile Zwecke zu profitieren, die Geprellten? Das Vertrauen in das ohnehin kränkelnde Regime wird nachhaltig erschüttert. Auch in der Debatte über das iranische Atomprogramm, immerhin NPT-Mitglied, ist dies kaum förderlich. Übrig bleibt die Erkenntnis, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Für die Glaubwürdigkeit des Abrüstungsregimes ist das ein Bärendienst, von der Gefahr einer neuen nuklearen Rüstungsspirale in Asien ganz zu schweigen.

Die Integration Indiens in das internationale Abrüstungsregime ist wichtig – doch nicht um den Preis von dessen Unterminierung. Die NSG-Ausnahme bedarf daher dringend der Korrektur, wie von Österreich und anderen Staaten gefordert. Vor allem die Einhaltung des Atomtestmoratoriums und der Stopp der Produktion von Atomwaffenmaterial sollten als Bedingung aufgenommen, Exporte von Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie für den Bau von Atomwaffen explizit ausgenommen werden. Ohne diese Bedingungen wäre der Deal ein signifikanter Rückschlag für die globalen Abrüstungsbemühungen der letzten Jahrzehnte.

Alexander Kmentt ist karenzierter Abrüstungsexperte des Außenministeriums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2008)

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