Wenn Journalisten sich aneinander orientieren

In den Medien dominiert zunehmend ein missionarisches Berufsverständnis. Die Medienschaffenden sehen ihr Glaubensgebäude als das allein selig machende an und wollen all jene ruinieren, die nicht ihrem Glauben folgen.

Es ist seltsam: Viele junge Leute wollen Journalisten werden, im Ansehen der Bevölkerung aber steht dieser Beruf auf einem Abstiegsplatz: Nur Politiker haben ein schlechteres Image. Woher kommt das? Ist dieser schlechte Ruf wohl erworben?

Wer die Zeitungen aufmerksam liest, wird sich kaum wundern. Wenn man die Fernsehnachrichten verfolgt, wird das Glaubwürdigkeitsproblem der Journalisten sogar noch deutlicher: Nahezu täglich kann der aufmerksame Beobachter feststellen, wie da manipuliert wird, wie Fakten zurechtgebogen und Tatsachen ideologisch aufbereitet werden – nach dem Motto: Wenn die Wirklichkeit nicht meiner Einstellung entspricht, umso schlimmer für die Wirklichkeit.

Ein eindrucksvolles Beispiel lieferte in den vergangenen Monaten das deutsche Fernsehen, die ARD. Nach massiver Zuschauerkritik reagierte der ARD-Programmbeirat mit massiven Vorwürfen, die Berichterstattung über die Ukraine-Krise betreffend.

Selbstkritische Erkenntnisse

In einer ausführlichen Analyse ist unter anderem von „Voreingenommenheit“, „tendenziöser Berichterstattung“, „mangelnder Differenziertheit“ und „Lückenhaftigkeit“ die Rede. Kritisiert wird auch die merkwürdige Auswahl der Experten, die vor die Kameras gezerrt wurden. Wohlgemerkt, diese Analyse stammt nicht von böswilligen Konkurrenten, sondern von den offiziellen Programmbeobachtern des Senders.

Alles nur Putin-Versteher? Natürlich nicht. Die Redakteure der „Tagesschau“ haben inzwischen selbstkritisch erkannt, dass man „mit dem Wissen von heute“ manchen Akzent anderes gesetzt und manche Formulierung anders gewählt hätte. Man sei „zu leicht dem Nachrichten-Mainstream“ gefolgt.

Eine eher freundliche Umschreibung für die Tatsache zum Beispiel, dass man das Wrack eines Hubschraubers als von den Separatisten abgeschossen bezeichnete – ein Bild, das in Wirklichkeit aus Syrien stammte. So ging es am laufenden Band: Am 20.Mai „berichtete“ Udo Lielischkies von zwei toten Ukrainern, die angeblich von Separatisten ermordet worden waren. Peinlich, dass Tage vorher diese Bilder schon gelaufen waren – mit der zutreffenden Bemerkung, dass die Männer von ukrainischen Soldaten erschossen worden waren.

Ebenfalls am 20.Mai: Aus Donezk wird von einer Demonstration berichtet. Viele Menschen mit orangefarbenen Fahnen protestierten gegen prorussische Separatisten, so die Moderatorin. Die Bilder vermitteln eine Großdemo – auf YouTube ist die Wahrheit zu sehen: Es ist nicht mehr als ein kleines Grüppchen von Demonstranten.

Der „Nachrichten-Mainstream“ – ein verräterisches Wort. Die Meinungsforscherin Noelle-Neumann hatte vor Jahren schon gewarnt: „Journalisten orientieren sich aneinander und verfallen in Schweigen, wenn sie merken, dass die Mehrheit der Kollegen anderer Meinung ist – und damit ist der Meinungstenor da mit der entsprechend starken Wirkung auf Politiker, aber auch auf die Bevölkerung als Ganzes. (...) Was Sie heute in den Köpfen der Menschen finden, ist oft gar nicht mehr die Realität, sondern eine von den Medien konstruierte, hergestellte Wirklichkeit.“

Immer öfter, so ist zu beobachten, haben wir es in den Medien mit einem missionarischen Berufsverständnis zu tun, das geprägt ist von einer volkspädagogischen Haltung, die ihr Glaubensgebäude als allein selig machend ansieht und all jene ruinieren will, die nicht ihrem Glauben folgen. Der Chef der Berliner Agentur Scholz und Friends, Wolfgang Bok, meint, in deutschen Redaktionen habe sich die „Generation G“ durchgesetzt – G steht für „Greenpeace, Gender und Gerechtigkeit“. Man kann auch sagen: Zeitgeist oder Mainstream, dem sogar ehemals seriöse Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine“ inzwischen erlegen sind.

Verzicht auf eigene Gedanken

So wird auch verständlich, warum Günter Grass von den „gleichgeschalteten Medien“ sprach (vergessend, dass er von dieser Gleichschaltung jahrelang profitiert hatte). Die „politische Korrektheit“ hat dazu geführt, dass viele Journalisten sich an die Sprachregelung der Alpha-Kollegen anlehnen und auf eigene Gedanken verzichten. Man ist sich einig, hat die „richtige“ Gesinnung, sieht sich im Kollegenkreis bestätigt – Mainstream!

Udo Ulfkotte hat in seinem neuen Buch, „Gekaufte Journalisten“, eine bemerkenswerte Verbindung recherchiert: Da gibt es in Deutschland eine Organisation, die Atlantik-Brücke, gegründet als „Gesellschaft ehemaliger Besatzungsfunktionäre im Nachkriegsdeutschland“, die als CIA-nah beschrieben wird.

Ihr gehören zahlreiche Spitzenjournalisten an, unter anderem die künftige Leiterin des Berliner ARD-Studios, Tina Hassel, der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, Claus Kleber (ZDF), Stefan Kornelius („Süddeutsche Zeitung“), Klaus-Dieter Frankenberger („FAZ“) usw. „Allein in den Jahren 2006 bis 2012 werden in den Jahresberichten 88 Journalisten erwähnt. Solch eine Zugehörigkeit schafft natürlich Konsequenzen: So unterschrieb der damalige „FAZ“-Mann Nikolas Busse als Korrespondent für Nato und EU im Februar 2003 – kurz vor dem Einmarsch der USA in den Irak – eine in der „New York Times“ geschaltete Anzeige, in der er versprach, „keine Mühe zu scheuen“, die Verbindung mit den USA zu erhalten.

Aber auch in Brüssel sind Treueschwüre dieser Art offenbar keine Ausnahme. Die EU bezahlt Journalisten indirekt dafür, dass sie positiv über Brüssel berichten. Da werden Millionensummen für die Werbung für das europäische Projekt ausgegeben.

EU-Hofberichterstattung

Kein Wunder, dass dann manch einer keine Hemmungen hat, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben: „Ich versichere, das Image der EU, ihrer Politik und Einrichtungen weder direkt noch indirekt zu schädigen.“ So haben wir uns unabhängigen Journalismus schon immer vorgestellt! Oder sollte man eher von Hofberichterstattung sprechen?

Kein Wunder dann auch, dass der Printjournalismus in der Krise steckt, immer mehr Zeitungen rote Zahlen schreiben und die Redaktionen ausdünnen – was zur Folge hat, dass das Produkt immer schlechter wird. Die „FAZ“ streicht 200 ihrer 900 Arbeitsplätze, der Verlag Gruner und Jahr 400 von 2400 Stellen. Zeitungen wie der „Rheinische Merkur“ und die „Financial Times Deutschland“ sind bereits völlig vom Markt verschwunden. „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ wechseln in Panik nahezu jährlich ihre Chefredakteure.

Offenbar haben die Zeitungen (nicht aber das übermächtige Fernsehen, das durch Zwangsgebühren gespeist wird) die Probleme einer veränderten Kommunikationsstruktur noch nicht verarbeitet. Die USA sind bereits einen Schritt weiter: Da hat sich das Politikportal „Politico“ etabliert, dessen Chef, John F. Harris, warnt: „Der Durchschnittsjournalismus wird verschwinden. Für ihn ist kein Platz mehr. Für ihn gibt es kein Publikum und damit auch kein Geschäft mehr.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Detlef Kleinert
begann seine berufliche Laufbahn beim Bayerischen Fernsehen. Er war unter anderem Südosteuropa-Korrespondent der ARD in Wien. 1992 erhielt er für den Fernsehbericht „Die Hölle von Sarajewo“ den Bayerischen Fernsehpreis. Autor des Buches „Wenn Tito das wüsste: Von der kroatischen Küste bis zu den Bergen des Balkans“ (Herbig). Er lebt nahe Wien. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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