"Das Verbrechen beginnt mit dem falschen Wort"

Eskalation oder Deeskalation: Wie wir durch unsere Kommunikation Konflikte schüren und Stress erzeugen.

Ein 16-jähriges Mobbingopfer klagt Republik“, schrieben die Zeitungen vor einigen Tagen. Das ist der erste Prozess in Österreich, bei dem das Opfer zwei Jahre lang von seinen Mitschülern gequält wurde und jetzt von den Lehrern Schadenersatz fordert, weil sie zu wenig dagegen unternommen haben sollen. Es kam zu monatelangen Krankenständen des Schülers mit gravierenden psychischen Folgen für das Mobbingopfer.

Schon sind wir auf der Palme

„Das Verbrechen beginnt mit dem falschen Wort“, soll Karl Kraus gesagt haben. Wir alle kennen Menschen, die es schaffen, uns in kurzer Zeit zu ärgern. Oft genügen ein Wort, eine Geste, und schon sind wir auf der Palme. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, wir atmen schneller, unsere Stimme wird höher, und das Gesicht beginnt sich zu röten. Das alles geschieht unbewusst, im Augenblick, trotz des Vorsatzes, das nächste Mal ruhig zu bleiben. So ergeht es uns nicht nur im Umgang mit Menschen, sondern auch bei gewissen Arbeiten und Situationen unseres Lebens, die wir innerlich ablehnen.

Das alles kostet Energie, Nerven und führt zusammen mit dem ständig steigenden Leistungsdruck und der Zeitknappheit zu Stress. Die Folgen sind Unruhe, Gereiztheit, Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Alkoholmissbrauch, Magengeschwüre, Bluthochdruck, Herzinfarkt bis hin zum Burn out. Das Drama ist, dass all dies unbewusst geschieht und wir somit nicht eingreifen können.

Wie können wir in Extremsituationen dafür das Bewusstsein erlangen und gegensteuern? Über die Kommunikation wird die Einstellung zum Gesprächspartner sichtbar und spürbar. Die Verwendung von sogenannten Reizworten entscheidet, ob es zu einer Eskalation oder Deeskalation kommt. Auf diese Reizworte sollten wir genau achten, um sie vermeiden zu können. Auch die Satzstellung verrät einiges. Wenn ein Satz mit „Du“ beginnt und mit einem Ausrufungszeichen (!) endet, enthält er oft einen Vorwurf, eine Unterstellung oder Anklage: „Du hast gesagt,...“ oder „Du hast versprochen,...“ führt beim Gesprächspartner zu Widerspruch, Verteidigung und einem Gegenangriff.

Kontrollverlust vermeiden

Wenn er sich dann wehrt, begegnen wir ihm mit der Killerphrase: „Ah, du verträgst keine Wahrheit!?“ Achten Sie daher auf Ihre Wortwahl, entdecken Sie die Reizworte, die Sie auf die Palme bringen, oder gehen Sie auf räumliche Distanz zu Ihrem Streitpartner. So vermeiden Sie einen Kontrollverlust.

Ich lade die Leser an dieser Stelle ein, einen Blick hinter die Kulisse unseres Bewusstseins zu werfen und darf mit einem Beispiel beginnen. Sie befinden sich in einem Verkaufsgespräch, haben sich gewissenhaft vorbereitet, alle Argumente vorgebracht und die Fragen Ihres Kunden ehrlich beantwortet. Nach und nach bekommen Sie das Gefühl, an einem toten Punkt angelangt zu sein. Sie können Ihr Gesprächsziel nicht erreichen, es gibt keinen Geschäftsabschluss.

Warum? Sie haben auf der Sachebene brilliert und alle Zahlen, Daten, Fakten optimal präsentiert. Aber es fehlt an Vertrauen, Sympathie und Akzeptanz. Solange Sie keine gute Beziehung zum Gesprächspartner aufgebaut haben, werden Sie auf der Sachebene scheitern.

Den größten Streich spielt uns aber unsere Wahrnehmung und was daraus folgt. Ein Beispiel: Sie stehen am Fenster eines Hauses mit Blick auf eine dicht befahrene Straße. Auf der anderen Straßenseite stürzt ein junger Mann aus einer Bankfiliale und rennt, ohne auf den Verkehr zu achten, über die Straße. Was sehen Sie? Einen Bankräuber? Einen zornigen Kunden, dem der Kredit fällig gestellt wurde? Einen Verliebten, der zu seiner Freundin auf die andere Straßenseite will? Nein!! Sie sehen einen jungen Mann, der aus einer Bankfiliale kommt.

Alles, was dann folgt, ist bereits eine Interpretation Ihrer Wahrnehmung, gefolgt von einer Be- und Verurteilung dieser Person auf der Grundlage Ihres Wertesystems. Wir können nicht anders, wir müssen ständig interpretieren, werten, verurteilen und schaffen damit Probleme, die wir später selbst wieder lösen müssen.

Wichtige Botschaft

Es ist daher wichtig, die Einstellung zum Gesprächspartner zu überprüfen. Letzten Endes kommunizieren Sie immer, was Sie fühlen und nicht (nur), was Sie sagen. Wenn Sie Ihren Gesprächspartner für einen Dummkopf halten, kommunizieren Sie Dummkopf, auch wenn Sie ihn dabei verbal loben. Der Empfänger der Botschaft spürt das.

In der Kommunikation stehen wir uns oft selbst im Weg. Unsere Psyche ist erst dann zufrieden, wenn die Wahrnehmung mit dem Wertesystem in Einklang steht. Der Bereich des gegenseitigen Ausrichtens basiert auf dieser sogenannten rekonstruktiven Psyche. Wir richten andere Menschen aus, damit wir uns besser fühlen.

Es gibt allerdings Wahrnehmungen, die sich mit dem Wertesystem nicht mehr in Einklang bringen lassen. Da ist das, was wir gegensätzlich zu unserem Wertesystem sehen. Wir reagieren mit: „Das geht zu weit, so etwas macht man nicht!“ Damit wir die Lücke zwischen Wahrnehmung und Wertesystem auch in diesem Fall schließen können und das System der rekonstruktiven Psyche funktioniert, haben wir die Toleranz erfunden.

Gefangen im Wertesystem

Die Inhalte der Wahrnehmung verstoßen zwar massiv gegen unser Wertesystem, aber wir sind ja sooo tolerant und billigen zähneknirschend das wahrgenommene Verhalten. Letzten Endes bleiben wir damit Gefangene in unserem Wertesystem, denn die Toleranz ist eine schwache Stütze und eine Knebelung unserer Werte.

Wir haben die Toleranz erfunden, um mit den Verstößen gegen unser Wertesystem besser umgehen zu können. Bei genauer Betrachtung ist die Toleranz aber auch ein Zeichen von Arroganz. Sie setzt voraus, dass mein Wertesystem das Maß aller Dinge ist. Ich kenne die Wahrheit und nehme mir das Recht, alles zu beurteilen und zu verurteilen. Im Anschluss bin ich dann tolerant, wenn es mir gerade passt.

Wenn wir auf die Toleranz verzichten wollen, benötigen wir einen brauchbaren Ersatz: Die Wertschätzung. Wertschätzung bedeutet nicht, dass wir mit anderen Menschen einer Meinung sind, dass wir die Gesprächspartner sympathisch finden oder gar lieben müssen. Wertschätzung geht davon aus, dass jeder Mensch als ein einzigartiges Geschöpf weder gut noch böse ist. Das zeigt sich nicht nur im Fingerabdruck, sondern in der gesamten Person.

Gefangen im Wertesystem

Diese Einzigartigkeit ist in jedem Fall wertzuschätzen. Dann können wir auf bewerten, beurteilen und verurteilen im Alltag verzichten. Wir befreien uns aus dem Gefängnis des Wertesystems, erweitern unseren Horizont und vermeiden unnötige Konflikte und Stress durch ständiges Beurteilen und Verurteilen der Gesprächspartner.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2014)

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