Islam: Sachlicher Diskurs gefragt

Die heute in Österreich lebenden Muslime stellen einen Part dieser Gesellschaft dar, ihre Nachkommen sind Teil der Zukunft Österreichs.

Die gesetzliche Anerkennung des Islam in Österreich als Religionsgemeinschaft gilt innerhalb Europas als Sondermodell. Für uns Österreicher (Muslime und Nichtmuslime) ist diese Anerkennung des Islam ein Teil der österreichischen Geschichte und somit auch ein Teil der österreichischen Identität. Meine Gesprächspartner, sowohl in den islamischen als auch in vielen europäischen Ländern, bringen immer wieder ihre Hochachtung und Bewunderung für diese Situation in Österreich zum Ausdruck.

Betrachtet man allerdings die Diskussionen der letzten drei Wochen rund um das Thema Islamlehrer, dann stellt man schnell fest, dass in einer Art über den Islam gesprochen wird, als wäre er ein Fremdkörper in diesem Land. Kommentatoren, aber auch Politiker sind plötzlich in die Rolle eines Richters geschlüpft; auf der Anklagebank sitzt die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGG), die sich mit einer unglücklichen Aussage nach der anderen in irgendeiner Weise zu verteidigen versucht. Ich bin sehr dafür, Probleme klar zu benennen und nicht kleinzureden. Die Thematisierung des islamischen Religionsunterrichts muss allerdings in einem offenen und sachlichen Diskurs und nicht in einer Gerichtssaalatmosphäre geschehen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft ist eine österreichische Institution und geht somit uns alle etwas an. Ihr Erfolg wird im Ausland als ein österreichischer Erfolg angesehen und ihr Misserfolg als Misserfolg Österreichs.

Muslime sehen sich in der Defensive

Fast in jeder Reaktion auf die Islamlehrerstudie wird der Rücktritt des Präsidenten der IGG, Anas Schakfeh, implizit oder explizit gefordert. Er wird zum Hauptangeklagten aus der IGG. Die Probleme um den islamischen Religionsunterricht haben ihre Wurzeln jedoch in den 80er-Jahren, als er eingeführt wurde, bevor man sich Gedanken über die Ausbildung der Religionslehrer machte. Es handelt sich hier also um strukturelle Probleme, auch innerhalb der IGG, die seit Jahren bestehen. Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, Präsident Schakfeh zu verteidigen, sondern die Rolle der Gesellschaft zu hinterfragen, vor allem die Rolle der in Österreich lebenden 400.000 Muslime.

Die heute in Österreich lebenden Muslime stellen einen Part dieser Gesellschaft dar, ihre Nachkommen sind Teil der Zukunft Österreichs. In einem sachlichen Diskurs muss es um eine Zukunftsperspektive gehen. Wichtige Fragen sind: Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um für eine bessere Ausbildung der Religionslehrer zu sorgen? Welche Formen der Ausbildung können für die westlichen Bundesländer errichtet werden? Welchen Beitrag können andere Hochschulen (pädagogische, katholische und evangelische) leisten, um die IGG bei der Aus- und Fortbildung der Lehrer zu unterstützen? Wie soll eine zeitgemäße islamische Religionspädagogik konzipiert sein? Wie können demokratische Werte aus der islamischen Theologie heraus begründet werden? Welchen Beitrag kann auch die Gesellschaft leisten, damit sich Muslime hier in Österreich heimisch fühlen und sich als anerkannten Teil dieser Gesellschaft sehen?

Gerade die letzte Frage ist mir in diesen Tagen sehr intensiv durch den Kopf gegangen, denn es scheint noch großes Unbehagen zwischen vielen Muslimen und Nichtmuslimen zu bestehen. Den größten Vorwurf, den ich von der muslimischen Community als Reaktion auf die Lehrerstudie zu hören bekommen hatte, war: „Wir wissen, dass es bei uns einige Defizite und Probleme gibt, aber dies sollte unter uns bleiben und nicht nach außen dringen. Die Österreicher greifen uns ohnehin andauernd an, und jetzt hast du ihnen noch einen Grund dazu gegeben. Schau dir die Plakate der FPÖ an, sie machen Wahlkampfwerbung mit deinen Daten!“ Viele Muslime sehen sich in der Defensive, sie haben Angst, angegriffen zu werden, und versuchen aus dieser Verteidigungshaltung heraus, alles nach „außen“ schönzureden, damit sie ja keine Angriffsfläche bieten. So wundert es nicht, wenn auch von offizieller islamischer Seite immer wieder zu hören ist: „Bei uns läuft alles problemlos.“ Nur wenn die Gesellschaft die Muslime als gleichberechtigten Teil Österreichs anerkennt, sind die Muslime angstfrei in der Lage, über ihre Probleme auch offen zu reden.

In der Diskussion rund um die Suspendierung des Religionslehrers mit dem Vorwurf des Antisemitismus hätte ich mir diese Offenheit so sehr gewünscht, denn niemand, auch nicht die IGG, traute sich zu erwähnen, dass solche Aufrufe während des Gaza-Kriegs Mitte Jänner weltweit nicht nur in islamischen Ländern verbreitet waren und nicht zum Boykott jüdischer, sondern israelischer Ware als Protest gegen die Anwendung von Phosphorbomben von Israel im Gaza-Krieg aufriefen – der Vorwurf des Antisemitismus ist hier überzogen. Statt offen über Hintergründe zu reden, schweigt man, suspendiert den Lehrer und schweigt weiter. Niemand versucht, den Vorfall als Anlass zu nehmen, den anderen besser zu verstehen, denn in einer Gerichtssaalatmosphäre fehlt der Raum für einen Dialog.

Diskussion auf Augenhöhe

Wir, Muslime und Nichtmuslime, sind alle unter einem großen „Wir Österreicher“ vereint. Dabei gibt es kein „innen“ und „außen“. Defizite im islamischen Religionsunterricht betreffen uns alle, über diese nicht zu reden, hilft niemandem. Die IGG ist auf die Mitwirkung der Gesellschaft angewiesen, nicht zuletzt auf die Mitwirkung der 400.000 österreichischen Muslime. Die Gesellschaft ihrerseits muss von ihrer Richterrolle abtreten und genügend Empathie und Raum für offene Diskussionen auf Augenhöhe bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2009)

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