AKH zwischen den Stühlen und in der Not

Im letzten Jahrzehnt sind die Anforderungen an das AKH in allen Bereichen gestiegen: in Lehre, Forschung und bei der Versorgung der Patienten.

Wenn Dr. Werner Vogt in seiner Funktion als Ansprechpartner für Spitalspatienten über eine hohe Anzahl unzufriedener Patienten im AKH berichtet, muss man sich damit auseinandersetzen. Medizin ist ein Dienstleistungsunternehmen, neben guter inhaltlicher Qualität ist auch die Zufriedenheit der Kunden ein wichtiges Ziel. Wartezeiten von sechs Stunden sind inakzeptabel, und es müssen in den Spezialambulanzen stets gut ausgebildete, kompetente Ärzte tätig sein.

Man muss die Diskussion allerdings in einem etwas breiteren Kontext führen. Das AKH ist seinerzeit in einem Kraftakt von Bund und Gemeinde Wien errichtet worden, da dringender Handlungsbedarf zur Verbesserung der baulichen Gegebenheiten des Alten AKH gegeben war, und in einer Zeit, als Geld keine wirkliche Rolle gespielt hat. Daher haben sich die damaligen Verantwortlichen hingesetzt und beschlossen: „Der Bund zahlt die Ärzte und die Forschung, die Gemeinde den Rest, und die Differenz gleichen wir über den klinischen Mehraufwand aus...“

Dass eine so unpräzise Kostenaufteilung in Zeiten zunehmend karger Ressourcen zu Problemen führen muss, ist klar. Bund und Gemeinde haben jahrelang Prozesse um die Kostenaufteilung geführt. Auch die derzeit akkordierte Finanzierung wird von beiden Seiten (der mittlerweile ausgelagerten Med-Uni Wien, MUW, und dem Krankenanstaltenverbund, KAV, der Gemeinde Wien) als unbefriedigend angesehen.

150 Ärztestellen fehlen

Die Zeit ist aber nicht stehen geblieben. Im Verlauf des letzten Jahrzehnts sind die Anforderungen gestiegen: Die Studenten wollen ein Studium in Kleingruppen statt Frontalunterricht, die Wissenschaft ist anspruchsvoller, die Medizin komplexer geworden, Patienten fordern mehr Zuwendung, die Involvierung in die Diskussion von Behandlungsalternativen etc.; der forensische Druck erfordert dramatisch mehr Dokumentation, Patientensicherheit macht entsprechende Teamtrainings notwendig, Qualitätsmanagement und Zertifizierungen fordern Zeittribute – alles Entwicklungen, die im Einzelnen notwendig sind und zu einer Verbesserung der jeweiligen Qualität der Leistung führen.

Man würde annehmen, dass den Trägern dieser Einrichtung – Bund und Gemeinde Wien – einleuchtet, dass man für eine derartige Zunahme der Anforderungen auch entsprechend mehr Ressourcen in das System pumpen muss – dem ist aber nicht so. Der MUW fehlen laut einer seriösen Analyse des Rektorats 150 Ärztestellen im klinischen Bereich, die seit Jahren gefordert werden, deren Notwendigkeit nie bestritten wurde, deren Finanzierung vom Bund auf die Stadt Wien und umgekehrt geschoben wird.

Aus dieser beschämenden Situation entwickelt sich ein – für alle Beteiligten inakzeptabler – Konflikt: Die MUW neigt dazu, sich auf ihren Kernbereich zu konzentrieren (Lehre, Forschung, Spitzenmedizin), während die Gemeinde Wien die Patientenversorgung Wiens – auch im Routinebereich – im Auge hat. Eingebettet ist das alles in zunehmende (in Einzelfällen auch unverschämte) Forderungen der Patienten. Nicht selten kommt ein Patient mit dem Argument in die Notfallambulanz (!) „Ich bin gerade durchuntersucht worden und wollte nur schauen, ob die Diagnose stimmt“, oder – noch provokanter – eine Patientin mit Jucken im Genitalbereich kommt am Abend nach dem Heurigen in die Notfallambulanz, und auf die Frage, warum sie jetzt komme, gibt sie die – bezeichnende – Antwort: „Weil ich nicht so lange warten muss wie bei meinem Facharzt.“

Die Notfallambulanz des AKH ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das von Dr. Vogt angesprochene Problem. Sie funktioniert so hervorragend, dass sich die Gemeinde Wien gar nicht erst bemüht, entsprechende Strukturen in KAV-Spitälern weiterzuentwickeln, sondern die Patienten „volley“ ins AKH schickt. Und die Wiener würden am liebsten mit allen ihren Problemen in „ihr AKH“ kommen. Die Leistungen der Notfallambulanz (und aller anderen Ambulanzen) werden aber aus dem Budget der MUW finanziert. Durchaus zu Recht hat der Rechnungshof darauf hingewiesen, dass über diese Struktur ein beträchtlicher Teil des Universitätsbudgets zur Querfinanzierung der Gesundheitsversorgung missbraucht wird.

Wie so oft ist die Analyse des Problems leichter als deren Lösung. Wahrscheinlich bedarf es eines klareren Gesundheitskonzepts: Risikofälle und Spezialprobleme gehören weitgehend ins AKH, die Grundversorgung in andere Spitäler Wiens – naturgemäß unter Berücksichtigung der vorhandenen Strukturen, die von Fach zu Fach unterschiedlich sein werden. Vor einer solchen Übereinkunft zwischen MUW und Stadt Wien muss Letztere einmal bereit sein, den Großteil der Grundversorgung (vor allem Notfälle und Allgemeinambulanzen) in andere Spitäler zu verlagern – aber bereits das ist wahrscheinlich leichter gesagt als getan...

Mehr Geld, bessere Behandlung

In Zeiten der Finanzkrise kann ich mir einen zusätzlichen kritischen Denkanstoß allerdings nicht verkneifen. Wiewohl es verständlich ist, dass man das Bankensystem nicht austrocknen lässt und wichtige Wirtschaftsbetriebe mit öffentlichen Geldern finanziert werden müssen, ist nicht einleuchtend, warum Investitionen in die Gesundheit und in Lehre und Forschung (es gibt kaum einen zukunftsorientierteren Bereich) nicht einen ebenso hohen Stellenwert haben sollen.

Mit einer – notwendigen – Erhöhung des Gesundheits-, Forschungs- und Universitätsbudgets würden legitime Forderungen der Verantwortlichen erfüllt, die Beschäftigung angehoben und damit die Wirtschaft ebenso angekurbelt werden wie mit anderen Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise – und man hätte den Vorteil, dass Patienten besser behandelt, Studenten besser ausgebildet und der Forschungsschwerpunkt für die Zukunft besser positioniert würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2009)

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