Tiefe Risse durch Kroatien

Das Land bekommt seine erste Präsidentin und steuert im neuen Jahr auf eine noch tiefere gesellschaftliche Spaltung zu.

Kroatien hat seine erste Präsidentin. In einer äußerst knappen Wahl siegte Kolinda Grabar-Kitarović gegen den bisherigen Amtsinhaber Ivo Josipović. Dass Josipović in die Geschichte Kroatiens als bisher einziger Präsident ohne zweite Amtszeit eingehen wird, hat er wohl der schlechten wirtschaftlichen Lage und der unbeliebten, ja verhassten Regierung von Zoran Milanović zu verdanken.

Dass die Kandidatin des nationalkonservativen Lagers den Sieg davontrug, hat sie vor allem dem hohen Mobilisierungsgrad im nationalkonservativen und rechten Lager zu verdanken. Grabar-Kitarović tritt als Kandidatin der nationalkonservativen HDZ nun in die Fußstapfen von Franjo Tudjman. In die Fußstapfen eines autoritären Herrschers der 1990er-Jahre zu treten, der Kroatien gegen Ende seiner Amtszeit in die Isolation getrieben hat, gereicht Grabar-Kitarović freilich nicht zur Ehre.

Der äußerst schmutzig geführte Wahlkampf und der Rausch der Wahlnacht haben einmal mehr gezeigt, wie tief gespalten die kroatische Gesellschaft ist. Dem liberalen linken Flügel, den Josipović verkörpert, steht ein rückwärtsgewandtes nationalkonservatives und rechtes Lager gegenüber, das seine Daseinsberechtigung aus der Geschichte und dem Vaterlandskrieg der 1990er-Jahre ableitet. Grabar-Kitarović eilte noch in der Wahlnacht zu den Kriegsveteranen, um mit ihnen Sektkorken knallen zu lassen und patriotische Lieder anzustimmen.

Sozialdemokratie am Boden

Dass der rechthaberische und rhetorisch oft weit über das Ziel schießende Premierminister Milanović die HDZ in derselben Wahlnacht als „kriminelle Gruppierung“ bezeichnet, gießt nur zusätzlich Öl ins kroatische politische Feuer. Die tiefe Spaltung der Gesellschaft verspricht nichts Gutes für 2015. Willkommen im realen Kroatien, in dem tiefe Gräben mitten durch die Gesellschaft verlaufen und politische Konflikte äußerst aggressiv ausgetragen werden.

Dass HDZ-Chef Tomislav Karamarko in der Wahlnacht noch vor Grabar-Kitarović die Siegesrede hielt, zeigt die derzeitigen Machtverhältnisse innerhalb der HDZ auf. Premier Milanović beschimpfte sie noch in der Wahlnacht als „militante Parteisoldatin“. Die HDZ schwimmt auf der Erfolgswelle, die Sozialdemokratie hingegen liegt am Boden und steht vor einer Personal- und Strukturdebatte. Milanović könnte ausgerechnet von Josipović parteiintern herausgefordert werden. All das wird Kroatien nicht helfen, aus der tiefen strukturellen Krise herauszukommen.

So betrachtet ist es nur gut, dass auch neue Parteien und Persönlichkeiten an Zulauf gewinnen. Die linksliberale ORaH-Bewegung und der Überraschungskandidat der ersten Wahlrunde, Velibor Sincić, sind frischer, unverbrauchter und beweisen Mut. Für eine politische und gesellschaftliche Modernisierung Kroatiens müssten aber das Lagerdenken und die Antagonismen der derzeitigen politischen Kaste überwunden werden.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Wolken nach dem erbittert geführten Wahlkampf wieder schnell lichten werden und das Land eine neue Phase der positiven Entwicklung einschlagen kann. Gelingt dies nicht, wird ein rückwärtsgewandtes Kroatien noch viel tiefer in der Krise versinken.

Vedran Dzihic (* 1976) ist Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik und Lehrbeauftragter an der Uni Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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