Es geht auch um das Recht auf Respektlosigkeit

Gerade in Karikaturen zeigen sich Bruchlinien von Toleranz und Intoleranz.

Man muss die Karikaturen von „Charlie Hebdo“ nicht mögen, um sie zu verteidigen. Es geht nicht um den Inhalt der respekt- und manchmal auch geschmacklosen, vom anarchistischen Geist einer Post-68er-Generation getragenen Cartoons.

Es geht um das Recht, diese Respektlosigkeiten, die sich gegen Religion, Staat und Politik jeder Couleur wenden, publizieren zu dürfen. So banal diese Unterscheidung ist, so wichtig wird es sein, sie in der kommenden Debatte immer wieder zu betonen, wenn diskutiert wird, was denn Karikatur eigentlich darf und was nicht.

Dieses Recht auf Meinungsfreiheit ist unverhandelbarer Teil der europäischen Identität aus leidvoller Erfahrung. Dabei ist es kein Zufall, dass es die Redaktion einer Karikaturenzeitschrift ist, die zur Zielscheibe des Attentats wurde. In der Karikatur zeigen sich stärker als anderswo die unterschiedlichen Traditionslinien der religiösen Toleranz und der Intoleranz des Fundamentalismus.

Die Glaubenskriege des 16. und 17.Jahrhunderts in Europa wirken wie eine Blaupause der gegenwärtigen innerislamischen Auseinandersetzungen, in die Europa mit dem Anschlag von Paris immer stärker hineingezogen wird. Katalysator für den Krieg der Bilder ist dabei nicht mehr der Buchdruck, es sind das Internet und die sozialen Medien, die für eine Bilderflut sorgen, die die vom Bilderverbot geprägte Religion des Islam gleichzeitig bedroht und ihren Fundamentalismus befeuert.

Hoffen auf „Lutherisierung“

Wenn es um eine Strategie geht, die den Konflikt langfristig in ein friedliches Zusammenleben der Religionen führen kann, muss man in diesem Zusammenhang auf eine „Lutherisierung“ hoffen, die die Deutungshoheit des Koran aus den Händen der arabischen Gelehrten und ihrer Schulen nimmt und sie den einzelnen Gläubigen überantwortet.

Es mutet beinahe anachronistisch an, dass sich die islamistischen Attentäter einen Verlag gutenbergischer Prägung als Ziel suchen und Personen ins Visier nehmen, die mit altmodischen Mitteln wie Feder und Bleistift agieren. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der eigentliche Luftraum der Meinungsführerschaft in den sozialen Medien zu verteidigen sein wird.

Witze über den Holocaust

Als 2005 die dänische „Jyllands Posten“ eine Reihe von Mohammed-Karikaturen druckte (die in der Folge auch von „Charlie Hebdo“ übernommen wurden), lösten sie einen Sturm der Entrüstung in der islamischen Welt aus – bis hin zu schweren diplomatischen Krisen und gewalttätigen Demonstrationen und Auseinandersetzungen, die in einer wüsten Welle des Antisemitismus in der arabischen Welt mündeten. Denn wer sonst, wenn nicht die Juden, würde hinter diesen antiislamischen Karikaturen stehen?

Am Höhepunkt rief die iranische Tageszeitung „Hamshari“ zur „International Holocaust Cartoon Competition“ auf, um, wie es hieß, die westliche Toleranz auf den Prüfstand zu stellen. Zahllose Zeichner aus der arabischen Welt lieferten Witze über den Holocaust.

Aber die Antwort folgte auf dem Fuß: Im Februar 2006 wurde im Internet der „Israeli Anti-Semitic Cartoon Contest“ ausgeschrieben. Denn, so die israelischen Organisatoren, die besten Judenwitze zeichnen wir immer noch selbst. Als Preisgeld wurden 600 US-Dollar und dazu „unsere berühmten Mazzes, gebacken aus dem Blut christlicher Kinder“ geboten.

Das globale Echo der jüdischen Zeichner war überwältigend – und fürs Erste war zumindest geklärt, wer über das höhere Maß an Selbstironie verfügt.

Dr. Severin Heinisch ist Historiker, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Chapter 4 Group und war 2000–2005 Gründungsdirektor des Karikaturmuseums Krems.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2015)

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