Die neue Qualität im Kampf der Kulturen

Radikale Moslems führen ihren Kampf gegen den Westen zunehmend mit terroristischen Mitteln. Terrorismus kann einem Land zwar schaden und Verunsicherung bewirken, aber er kann ein Land nicht zerstören.

Der Anschlag radikaler Moslems auf die Redaktion der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ war ein Akt eines Kulturkampfes. Islamische französische Staatsbürger arabischer Herkunft haben Rache dafür geübt, dass der Prophet Mohammed ungebührlich karikiert worden ist. Diese Zeitschrift mit oft geschmacklosen Darstellungen ist schon wiederholt von Religionsgemeinschaften geklagt worden. Das war aber nicht der Weg der Attentäter von Paris. Sie übten Selbstjustiz und mordeten.

Dass überall in Europa islamische Organisationen den Terror von Paris verurteilten, ändert nichts daran, dass gerade dieser Anschlag demonstriert hat, wie wenig sich eine aufgeklärte liberale Gesellschaft in Europa mit mittelalterlichen Religionsvorstellungen verträgt. Denn für Mohammed war die höchste Stufe religiöser Hingabe ein Kriegszug, der die Herrschaft des Islam über die übrige Welt auszubreiten hilft.

Huntingtons Prognosen

Wir dürfen auch nicht ausblenden, dass in weiten Teilen der Welt – von Nigeria bis Pakistan – quasi rund um die Uhr im Namen des Propheten gemordet wird.

Der amerikanische Politologe Samuel Huntington hat vor 18 Jahren davor gewarnt, dass die Konflikte der Zukunft zivilisatorischer Art sein würden. Seine Vorstellung vom „Kampf der Kulturen“ war ein Denkmuster, wonach die Ursache wesentlicher Konflikte die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kulturen seien; Konflikte in einer Welt, die zwar globalisiert ist, sodass alle Kontakt miteinander haben, in der die Kulturen aber noch nicht hinreichend gelernt haben, miteinander zu leben beziehungsweise einander zu achten.

Es geht vielmehr um die Demonstration der Überlegenheit der eigenen „Zivilisation“. Das betrifft nicht nur Moslems, sondern etwa auch Hindus in Indien.

Viele europäische Politiker, vor allem aber auch deutsche Politologen, haben Huntingtons Thesen als falsch und dumm, ja geradezu gefährlich beurteilt. Tatsächlich leben wir aber längst in einer Welt des Krieges zwischen den Kulturen. Diese Kulturen sind mehr oder weniger stark religiös geprägt. Besonders hervorstechend sind im Moment die islamisch geprägten und hinduistischen Kulturen.

Natürlich sind nicht alle Angehörigen einer religiös geprägten Zivilisation für gewaltsame Auseinandersetzungen; zumeist sind sogar massive Mehrheiten dagegen. Aber es genügt, dass sich radikale Gruppen finden – und sie finden sich immer –, die den Kampf gegen die anderen, die Frevler und die Sünder, führen wollen. In der islamischen Welt nennen sie sich gerne Gotteskrieger (die Kreuzzüge wurden auch nicht von der Christenheit geführt, sondern waren Folge des Aufrufes einzelner Päpste und Fürsten. Dennoch werden sie dem Christentum zugerechnet).

Abkoppelung vom Westen

Die Konflikte religiös-kultureller Art sind oft auch mit politischen, ökonomischen oder sozialen Fragen verbunden. Letztere sind aber meist nur Auslöser, die nur wegen des kulturellen Aspektes möglich sind. Terrorismus, Bürgerkrieg, offener Krieg und Subversion – diese Aspekte kennen wir nicht nur aus dem Irak und Syrien, Nigeria, Afghanistan, Pakistan und Indien, sondern aus vielen anderen Ländern. Sie betreffen weite Teile Afrikas und Asiens.

Als die große Auseinandersetzung der Kulturen wäre die des Westens mit der islamischen Welt zu erwarten gewesen. Wobei es die islamische Welt wohl nicht wirklich gibt, wenn wir bedenken, wie viele Konflikte und Kriege es gerade zwischen Schiiten und Sunniten und anderen Gruppen gibt.

Freilich ist weltweit ein Prozess der langsamen Abkoppelung von westlichen Wertvorstellungen und Traditionen im Gange. Dieser geht aber friedlich vor sich. Die neuen Großmächte wie China und Indien, aber auch aufschließende Staaten wie etwa Brasilien, emanzipieren sich vom Westen und sind immer weniger daran interessiert, von ihm „missioniert“ zu werden.

Der Kulturkampf zwischen dem Westen und dem Islam findet zunehmend in Europa selbst statt. Die islamischen Zuwanderer sind oft nicht mehr mit der Rolle einer geduldeten Minderheitsreligion zufrieden. Sie identifizieren sich aus sozialen und kulturellen Gründen stärker mit ihrer Religion. Zumindest einige von ihnen stellen sich dann auch über die Regeln ihres neuen Heimatlandes und verurteilen alles, was ihrer Meinung nach gegen den Islam verstößt.

Das Ziel des Terrorismus

Die Religion hat den Wahrheitsanspruch. Das haben wir in Europa auch schon alles gehabt, aber durch die Aufklärung weitgehend überwunden. Im Großteil des Kontinents haben wir zu einem toleranten Nebeneinander von Religionen und Weltanschauungen und der Anerkennung von Religionsfreiheit gefunden. Der Kulturkampf mit terroristischen Mitteln wie zuletzt in Paris bedeutet eine neue Qualität des Kulturkampfes. Terrorismus als Mittel zum politischen Zweck setzt auf Verbreitung von Angst und Schrecken. In diesem Fall kurzfristig auf Einschüchterung: Keine neuen Mohammed-Karikaturen, oder ihr werdet ermordet!

Längerfristig gesehen dient diese Einschüchterung natürlich der Durchsetzung der eigenen Religion. Eine immer dekadenter werdende europäische Bürgergesellschaft wird schon begreifen, dass sie sich gegenüber islamischen Gestaltungsansprüchen einsichtig verhalten muss.

Aber es wird nicht so weit kommen. Terrorismus kann einem Land Schaden zufügen und Verunsicherung bewirken. Aber auch die größten Anschläge können ein Land nicht zerstören. Jedenfalls nicht einen fundierten, auf Demokratie, Freiheitsrechten und Marktwirtschaft aufbauenden europäischen Rechtsstaat.

Auftrieb für die Islamgegner

Der Anschlag von Paris und vielleicht noch kommende weitere Attacken dieser Art fordern natürlich Reaktionen heraus. Sie geben den antiislamischen Kräften in Europa enormen Auftrieb. Terror bewirkt zwar Einschüchterung, aber auch Gegenmaßnahmen. So wird es weiterhin die große Herausforderung für die politischen Eliten, aber auch für die Bevölkerung als Ganzes sein, den Islam so zu integrieren, dass er unsere liberalen Errungenschaften nicht einmal ansatzweise zurückzudrehen versucht.

Den Moslems in Europa muss klar werden, dass sie sich integrieren müssen, sonst werden sie keinen angemessenen Platz in unserer Gesellschaft finden. Das wird aber nur möglich sein, wenn sie ihr Religionsverständnis einer tiefen Revision unterziehen, praktisch einen europäischen Islam entwickeln, der kein Problem mit dem liberalen Staat hat und all das verwirft, was radikale Islamisten als Basis ihres Mordens zitieren können. Da gibt es einiges.

Man wird sich auch von jenen konservativen islamischen Kreisen distanzieren müssen, die in jeder Beleidigung des Propheten einen Tötungsgrund sehen – und auch von jenen Teilen der Bevölkerung in islamischen Ländern, die den Anschlägen von Paris großes Verständnis entgegenbrachten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Hon.-Prof. DDr. Erich Reiter
(* 1944 in Fürstenfeld) ist Präsident des Internationalen Instituts für Liberale Politik Wien und Hon.-Prof. für Internationale Beziehungen an der Uni Graz. Zuvor war er Beauftragter des Verteidigungsministeriums für strategische Studien und mehrere Jahre lang Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats. [ BMLVS ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2015)

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