Griechische Farce und europäisches Drama

Auch ohne ein Studium der Volkswirtschaftslehre hätte allen Akteuren schon vor Ausbruch der Krise klar sein müssen, dass die große Party in Griechenland eines Tages in einem ebenso großen Kater enden würde.

Man kann sich durch die Flut von Finanzminister- und Regierungscheftreffen, den zugehörigen Tsunami an Pressemeldungen sowie die überwiegend verzichtbaren, weil grotesk-gehaltlosen Wortspenden höchster EU- wie allerlei Nationalpolitiker zur jüngsten Entwicklung im Griechenland-Schlamassel zwar leicht verwirren lassen und vom peinlichen wie hilflosen Eurokrisenmanagement ermüdet sein. Sich der evidenten Tatsache zu verschließen, dass auch die neue griechische Regierung auf den Nasen ihrer Europartner – allerdings noch wesentlich tolldreister als ihre Vorgänger – herumtanzt, sollte aber doch äußerst schwerfallen.

Lächerliche Papierchen

Da werden seitens der Euro-Gruppe mit ernster Miene lächerliche Papierchen von Griechenland gefordert, noch lächerlichere und nichtssagende von Griechenland mit provokanter Fristüberschreitung geliefert, nach fünf Jahren Krise (!) vage Reformvorschläge gemacht und von der Euro-Gruppe Vier-Monats-Übergangsfinanzierungen als Krisenlösung verkauft!

Da werden in Griechenland noch immer Steuern nicht bezahlt und nicht eingetrieben, zugesagte Privatisierungen provokativ verschleppt bzw. rückgängig gemacht.

Dass sich die Griechen all das, was wir in den letzten Wochen tagtäglich erleben müssen, leisten können – und die anderen sich das bieten lassen müssen, erscheint auf den ersten Blick wirklich verwunderlich. Ist es aber nicht! Die griechische Regierung kann und will nämlich genau das: provozieren, wo und wie es nur geht, damit den anderen der Geduldsfaden reißt!

Das hieße dann, dass Griechenland – einerlei, ob durch die EZB oder die offiziellen Hilfsprogramme – der Geldhahn abgedreht und so das Land zum Austritt aus dem Euro gezwungen würde. Dann hätte die griechische Regierung nicht den Austritt Griechenlands aus dem Euro, den Grexit, erreicht, sondern den Rausschmiss aus der Eurozone, den „Greece-sack“, was sich als „weitere Schandtat“ der anderen den Griechen gegenüber, vor allem in Griechenland selbst, gut verkaufen ließe! Das freilich wissen und fürchten die anderen Eurostaaten. Sie haben in diesem Poker schlechte Karten.

Doch sie sind selbst schuld. Der Griechenland-Schlamassel besteht ja nicht erst, seit im Frühsommer 2010 die ersten Hilfspakete für Griechenland geschnürt wurden. Es begann schon mit dem Beitritt Griechenlands zum Euro, der durch dreiste Finanztricks erschwindelt wurde. Die zentralen Entscheidungsträger auch in der EU wussten das.

Genauso wie die Finanzmarktakteure und Großanleger sich Jahre vor Ausbruch der Krise auch ohne ein Studium der Volkswirtschaftslehre haben ausrechnen können, dass die große Party in Griechenland in einem ebensolchen Kater würde enden müssen.

Mit Vollgas in die Pleite

Allein die veröffentlichten Daten zu Staatsdefiziten und Staatsverschuldung, Preisentwicklung und Leistungsbilanz Griechenlands zeigten lang vor dem Ausbruch der Krise eindeutig, dass Griechenland mit Vollgas in die Pleite rast!

Warum aber haben dann private Gläubiger Griechenland ohne Sicherheiten und ohne rechtliche Durchsetzungskraft so großzügig finanziert? Die Finanzmarktakteure pokerten in der Tat sehr hoch und sie gewannen! Ihre Überlegung, dass insbesondere die Europäische Zentralbank kein Euromitgliedsland fallen lassen würde und dass man sich über das explizite Bail-out-Verbot im EU-Recht hinwegsetzen würde, ging auf. Schon Jahre vorher blieben zahlreiche Verletzungen der festgeschriebenen Defizitgrenzen vieler Euroländer ohne jede Konsequenz. Der seinerzeitige Kommissionpräsident und italienische Regierungschef, Romano Prodi, nannte die Verschuldungsgrenzen sogar „dumm“, ohne damit irgendeine größere Entrüstung zu provozieren.

Im Frühsommer 2010 – also vor fünf Jahren – passierte (?) schließlich der Kardinalfehler im Euro-Krisenmanagement. Nicht die damalige Pleite Griechenlands war das große Problem (dessen Bruttosozialprodukt machte nicht einmal drei Prozent jenes der Eurozone aus). Das Problem war, dass man die damaligen Gläubiger Griechenlands (überwiegend Banken aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien), also jene, die beim Geldverleihen besser hätten aufpassen sollen und mit Krediten an Griechenland jahrelang gutes Geld verdient haben, aus jeglicher Ziehung genommen hat. Sie haben ihr Geld aus öffentlichen Mitteln – den Rettungsprogrammen – zurückbekommen und sich damit schnell aus dem Staub gemacht.

Versickerte Hilfsgelder

Die Gelder, die seit damals unter dem Titel Hilfsprogramm nach Griechenland flossen, waren dort schnell wieder weg bzw. kamen dort also gar nicht an. Diese Gelder wurden überwiegend für die Befriedigung der Altschuldner verwendet. Im Grund hätten diese damals ihre Forderungen „nur“ um einige Jahre verlängern und auf Zinsen verzichten, im allerschlimmsten Fall auch einem expliziten Schuldenschnitt zustimmen müssen. Die privaten Gläubiger hätten 2010 in der Tat zum Teil schwere Verluste einstecken müssen, hätten diese Möglichkeit damals aber erfolgreich als Schreckensszenario eines systemischen Bankenkrachs darstellen und sich so aus der Affäre ziehen können.

Griechenland wiederum hätte schon vor fünf Jahren eine deutliche Reduktion seiner Schulden bekommen und die weitere Schuldenexplosion verhindern können.

Bekanntlich wurde dieser Weg nicht beschritten, weshalb wir uns heute in einer nahezu ausweglosen Lage befinden. Denn seit den gigantischen inoffiziellen wie den offiziellen Hilfsprogrammen für Griechenland sind die Forderungen an Griechenland überwiegend in öffentlichen Händen, schuldet Griechenland in der Tat überwiegend seinen Europartnern sowie der EZB enorme Beträge.

Der griechische Trumpf

Das ist nun das Problem der Europartner, der EZB wie zugleich der Trumpf Griechenlands. Die Europartner sind selbst – mit Ausnahme Deutschlands – in prekären wirtschaftlichen Situationen und können ihren Wählern schwer verständlich machen, dass sie noch einmal Geld nachschießen bzw. gegebene Hilfen überwiegend abschreiben sollen. Die griechischen Politiker wissen genau, dass Schuldner, die bei Gläubigern so tief in der Kreide stehen, dass diese im Fall des Ausfalls des Schuldners selbst in arge Schwierigkeiten geraten, in einer guten Verhandlungsposition sind.

Vor fünf Jahren hätte man argumentieren können, dass die „bösen Märkte“ Griechenland zum Euro-Austritt gezwungen hätten. Heute ist es die Euro-Krisenpolitik – eine Politik, schlimmer als die eigentliche Krise, die den Austritt oder Hinauswurf Griechenlands zu verantworten hätte. Dass sich kein Politiker diesem Vorwurf aussetzen will, ist verständlich. Dass man begangene Fehler nicht einsieht und den unumgänglichen wie deutlichen Schuldenschnitt, nicht allein für Griechenland, nach wie vor ausschließt, dagegen nicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Ferry Stocker (*1961 in Lienz) studierte Handelswissenschaften und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Sein Buch „Zahltag. Finanz- und Wirtschaftskrise und ökonomische Prinzipien“ erschien soeben in dritter, erweiterter Auflage. [ privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2015)

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