Metropole mit Überkanzler Vorwahlberichte aus Wien

Mega-Bundesland. In Vorwahlzeiten kommt das politische Gewicht Wiens zur Geltung. Die Stadt kann mehr als Schanigärten regeln.

Wenn keine Wahlen sind, gibt sich die Stadtverwaltung unauffällig, besonders bei Gebührenerhöhungen. Nichtwiener ärgern sich mundartlich über den „Wasserkopf Wien“ und treffen damit den richtigen Punkt: In dem Ausdruck steckt die Größe XXX-large, auch wenn sich der Landeshauptmann des Bundeslandes bloß Bürgermeister nennt, so als wäre er bescheiden.

„Die Presse“ fährt seit einigen Wochen mit spannenden Neuigkeiten auf. Aufmacher wie „Der Herbst des Michael Häupl“ und „Die Rückkehr des Roten Wien“ verdrängen Weltprobleme von der Seite 1 und markieren den innen- und parteipolitischen Ausnahmezustand vor der Landtagswahl.

Wenn der Bürgermeister einen grantigen Halbsatz verliert, ändert sich eine Parteilinie oder ein Steuerreformpapier. Dann hat die Zeitung schon wieder einen neuen Aufmacher.

Erwähnenswert ist das deshalb, weil Journalisten das normale Jahr über selten begeistert sind, wenn sie zu Pressekonferenzen in die neugotisch-finsteren Räume des Rathauses geladen werden. Da sei nicht viel zu holen, wissen sie im Voraus, unterschätzen manchmal aber doch, was hinter der Fadesse von Rathausmeldungen stecken kann. Gegenwärtig machen Stadt und Land Wien große Bundespolitik, weshalb die Redaktion ihre innenpolitischen Zampanos ins Gefecht schickt.

Selbst der Chefredakteur widmet einen Leitartikel dem Umstand, der zwar immer gilt, aber in Vorwahlzeiten so überraschend wie Masern wahrgenommen wird: Der Bundeskanzler müsse Häupl fürchten (24.2.). Kompliment auch für das Foto zum „Herbst des Michael Häupl“ am selben Tag. Es ist gestellt, man merkt es an dem ebenfalls ins Bild gerückten Fotografen. Somit wirkt Häupl im Weinblätterwald genau als der, der er ist: ein auslagentauglicher Biedermann.

***
Bedauerlich ist, dass wie so oft auch bei diesem Foto der Name dessen, der es mit beruflicher Hingabe gemacht hat, verschwiegen wird. Da behandeln die schreibenden Journalisten, die als Blattmacher die Mächtigeren sind, ihre fotografierenden Kollegen schlecht.

Abseits der fotogenen Beschaulichkeit sollten übrigens auch die Fakten stimmen. Wenn unterhalb von Häupls Weingartenromanze eine Grafik über die Stimmenanteile der Parteien im Wiener Gemeinderat bloß 99,1 statt 100 Prozent gültige Stimmen zu verteilen hat, so ist das ein Kratzer im Gesamtkunstwerk. Ein solcher kann freilich auch auf ganz anderen Gebieten auftreten. Man soll ja nicht kleinlich sein, aber drei Fallfehler im Bildtext über das Nemzow-Attentat auf Seite eins sind selbst in einer Montagausgabe um drei zu viel (2.3.): Etwas liegt nicht unweit dem Schauplatz, sondern unweit des Schauplatzes; die Demonstranten gedachten nicht den, sondern des Ermordeten; und Putin erfreut sich nicht an einer, sondern einer Popularität.

***
Ein Unter- oder Übertitel präzisiert den Artikelinhalt – eine angenehme Dienstleistung für Leser, die rasch entscheiden können, ob sie weiterlesen oder weiterblättern. Nicht immer wird dieses Versprechen erfüllt: „Spanien. Bei den heurigen Regional- und Parlamentswahl (sic!) befürchten die ein Debakel.“ (25.2.) Wer? Die.

In einem Zwischentitel verrutschen die Wörter, vielleicht passt das aber gut zu Griechenland: „Athen hofft auf doch Einigung“ (17.2.).

Wohlgefällig registriert die Zeitung die vom „Spiegel“ berichtete Kritik der EU-Kommission an den deutschen Mautplänen (28.2.). Eine Zehntagesvignette um zehn Euro missfalle der EU besonders: „Das wäre nur halb so viel wie die günstigste Jahresmaut für rund 20 Euro.“ Das „nur“ im „Presse“-Bericht deutet auf eine falsche Interpretation hin. „Nur“ zehn Euro wären für die Kurzzeitvignette viel zu teuer und damit für ausländische Autofahrer diskriminierend. Im „Spiegel“ hieß es richtig: „Demnach ist der Preis für Kurzzeitvignetten zu hoch. Die Kommission hatte in der Vergangenheit die Faustregel aufgestellt, dass eine Jahresvignette rund achtmal so viel kosten muss wie eine Kurzzeitvignette.“

***
Naturfreunden schlägt das Herz höher, wenn sie von Waldrappen hören, und im Dativ stimmt dieser Eigenname sogar. Grammatikalisch sind die in Europa fast ausgestorbenen Zugvögel jedoch schlaue Fallensteller. Ein einzelnes Tier ist der Waldrapp. Dann lautet der Plural folglich Waldrappe, so wie im folgenden Satz: „Die Waldrappe aus Grünau im oberösterreichischen Almtal sind weltberühmt.“(21.2.) Aber so wie im folgenden Satz geht es nicht: „Extrem höflich sind sie, die Waldrappen.“ (3.2.) Eine kritische Leserin merkt dazu an: Dann wären Waldrappen ja schwarze Pferde, die durch den Wald traben. Die Leserin ist Biologin und hat ein Beispiel auch aus der heimischen Flora, das viel Sprachgefühl erfordert: Bestimmte pflanzliche Parasiten seien großzügig genug, ihren „Wirten“ am Leben zu lassen. (24.1.) Richtig wäre, schreibt sie, „ihren Wirt“ am Leben zu lassen, denn wer „zum Wirten“ geht, meine umgangssprachlich eher das Wirtshaus und nicht die Person.

„Seit Wochen nimmt die Anzahl der Menschen, die aus dem Kosovo flieht, zu.“ (13.2.) Die Anzahl flieht nicht, es sind die Menschen – und die fliehen im Plural.

„Der Kartenverkauf beginnt heute ab 15 Uhr“ (26.2.). Er kann aber offenbar auch erst um 17 oder 18 Uhr beginnen – eben irgendwann „ab 15 Uhr“. Schauen wir halt vorbei.

***
Eindrucksvoll, wie „Die Presse“ die neuesten Kriegsschauplätze Ukraine sowie das mehrstaatliche Aufmarschgebiet der islamistischen Terrorarmee IS journalistisch bewältigt, indem sie erfahrene und einsatzfreudige Redaktionsmitglieder regelmäßig ins Krisengebiet schickt. Dabei kann es, wie die Reportagen aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet zeigen, ein großer Vorteil sein, dass der Redaktion österreichische Journalisten mit Migrationshintergrund angehören.

Sie ermöglichen im muttersprachlichen Umgang mit ihren Informanten ganz andere Einblicke in die Lage. Terrorgruppen aus Syrien dringen gemeinsam mit Flüchtlingen in die Türkei ein. „So, und dann fragen wir uns, was machen die hier?“ grollt der türkische Lehrer in der Grenzstadt Reyhanli, die ein regelrechter Stützpunkt für Jihadisten geworden ist. „Da laufen sie auf der Straße herum und überqueren dann nachts die Grenze.“ (24.2.)

Aufwendige Hochzeiten sind ein beliebtes Seitenblickethema für Zeitungen. „Die Presse“ belässt es anlässlich der Hochzeitsfeier des Albertina-Chefs Klaus Albrecht Schröder in der Albertina bei einem Einspalter, was längenmäßig gewiss genügt (2.3.). Tränen flossen, Schröder hielt eine Laudatio auf die Liebe, alle waren gerührt. „Darunter waren viele bekannte Gesichter aus Kunst und Kultur.“ Irgendwie fehlt mir aber doch, was bei sogenannten Hochzeiten des Jahres sonst immer mitgeliefert wird. Ich trage es nach: Schröder heiratete zum dritten Mal, er ist 59, seine neue Frau, Nina, 34.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.