Ist Rechtssicherheit zum Glücksspiel verkommen?

Von der Rauchergeschichte bis zum Hypo-Desaster zeigten sich zuletzt schwere Mängel der Gesetze und ihres Vollzugs.

Wir dürfen uns nichts vormachen: Gesetze und Bescheide werden sowohl von Menschen erlassen als auch vollzogen. Und Menschen sind nun einmal fehlerhaft. Oder emotional und von Motiven gesteuert, von denen, das sei unterstellt, die meisten an sich gut sind. Man will jemanden schützen. Überspitzt: bis hin zum Behütungsterror. Das bedeutet auf der anderen Seite – überspitzt – Unterdrückungsterror.

Unübersehbar gehen dabei Balance, Weisheit und Rationalität in einem Taifun der Rechtsunsicherheit und vor allem der nicht kalkulierbaren Folgen für einen Teil der Normadressaten unter. Die Rauchergeschichte ist ein Musterbeispiel für Pfusch. Das Hypo-Desaster mit den rechtsbeugenden Komponenten detto. Die verwirrende Auslegung von Arbeitsverhältnissen von temporär Beschäftigten und die Entscheidung zum Thema Kleines Glücksspiel in Wien zeigen die schweren Mängel der Gesetze und des Vollzugs auf.

Ist die Rechtssicherheit in unserer Republik ein kleines oder ein großes Glücksspiel? In unserem so großartigen Land, in dem wir uns auf die politisch-demokratischen Strukturen (zu Recht) so viel einbilden und unsere Verwaltung pflichtgemäß als die beste der Welt (zu Unrecht!) sehen, wirkt diese Frage vorerst wie ein Beitrag zur luxuriösen Raunzerei.

Österreich ist kein Musterland

Aber: Die vom offiziellen Österreich ausgegebene Parole, wir seien ein Musterland, stimmt einfach nicht. Hat auch nie gestimmt, wie Franz Vranitzky und Alois Mock bei den Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU deutlich erfahren mussten. Wir sind bis heute Opfer der Beweislastumkehr, die so manchen Bürger und so manche Bürgerin zur Verzweiflung – und in die juristische Bredouille bringt.

Die Grundsatzfrage, die ich hier aufwerfe, lautet: Wie weit geht die Rechtssicherheit in unserem Land? Können sich Bürger – allen voran Wirtschaftstreibende – auf einmal ausgestellte gültige Bescheide in der Republik verlassen – oder ist man dann im Anlassfall vom Glück verlassen –, ohne dass ein Gesetz geändert worden wäre?

Diese Frage stellen sich derzeit vor allem Automatenbetreiber – und sie haben gute Chancen, darauf vom Verwaltungsgerichtshof eine für sie günstige Antwort zu erhalten. Die oberstgerichtliche Befassung und die mögliche Entscheidung verweisen allerdings auf den Makel von konträren Ländergesetzgebungen, unklaren Kundmachungen und Ankündigungen, nicht korrekt vollzogenen Gesetzen, schlampigen Bescheiden sowie willkürlichen Kehrtwendungen in der Interpretation und Anwendung von Gesetzen. Sonst würde es ja „kaan Richter brauchen“.

„Aus dem Konzept der Rechtskraft von Bescheiden ergibt sich, dass zur Gewährleistung von Rechtssicherheit zwischen Normunterworfenen und Behörde eine rechtskräftig erteilte Konzession auch bei einer nachträglichen Änderung der Rechtslage nicht eo ipso ihre normative Qualität verliert“ („Presse“ vom 3. März). Sonst müssten ja 70 Prozent aller in Österreich stehenden Häuser umgebaut oder niedergerissen werden. Da wenden sich Gesetzesvollzug und Bürokratie schon lieber an kleinere Gruppen wie Glücksspielbetreiber oder Fahrschulbesitzer.

Der Knackpunkt besteht laut Verfassungsjurist Bernhard Raschauer darin, dass der Bund im Glücksspielgesetz (Paragraf 5) für das Automatenspiel eine Rahmengesetzgebung erfunden hat. Die Bundesverfassung kenne aber den Begriff des Rahmengesetzes nicht („Presse“ 3.3.). Die gültigen Bescheide für das Kleine Glücksspiel im Raum Wien gelten alle noch bis 2016 und zum Teil darüber hinaus.

Dennoch ist das Kleine Glücksspiel unter Strafandrohung seit 1.Jänner in Wien verboten. Die Suchtbekämpfungseffizienz (Vorwand für die Anordnung) einer solchen „Entscheidung ohne Bescheid“ ist äußerst gering. Der Zweck heiligt erst recht dann nicht die Mittel, wenn er absehbar nicht erfüllt werden kann.

Programmierter Genickbruch

Damit bin ich bei den übrigen fantastischen Wahnsinnigkeiten, denen Normadressaten unterworfen sind. Einen kleinen Flächenbrand hat die unklare Situation von Taglöhnern ausgelöst. Skilehrer, Bademeister, Fahrlehrer und Fahrprüfer, Seminarleiter, Vortragende in Unis – alle haben in etwa bis 2009 als Selbstständige mit Honorarnoten per diem abgerechnet.

Alles war in bester Ordnung. Bei Krankenkassenprüfungen oder Steuerprüfungen wurde dieser Umstand bis 2009 nicht beanstandet! Und hier stellt sich wieder die Frage: Ist Rechtssicherheit ein Glücksspiel? Die klammen Kassen und der breite Interpretationsspielraum im Gesetz haben ab circa 2009 (unterschiedlich in verschiedenen Bundesländern) dazu geführt, dass für diese Personenkreise nachträglich Lohnsteuer und Versicherungsabgaben – auf Basis der hohen Selbstständigenhonorare – vorgeschrieben wurden. Der Genickbruch für kleine Betriebe war programmiert.

Nachträgliche Umdeutungen

Erst 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof im Falle der Skischule Lech entschieden, dass die Skilehrer als Angestellte zu werten wären. Bis etwa 2009 hat das bei Krankenkassen und in Finanzämtern niemand so gesehen. Die nachträgliche Umdeutung der Arbeitsverhältnisse ist einer der Sündenfälle der Verwaltung. Und leider vom Gesetz gedeckt.

So hat der bereits angeschlagene Bedarfsluftfahrtbetreiber Jetalliance für seine aus aller Welt stammenden, in aller Welt fliegenden und in aller Welt wohnenden Piloten eine Nachforderung der Gebietskrankenkasse in der Höhe von fünf Millionen Euro aufgebrummt bekommen. Der endgültige Todesstoß.

Ein weiterer Makel ist die Sondergesetzgebung zum Thema Hypo. Wenn es sich nicht mehr ausgeht, kann der Schuldner einfach die Regeln ändern. Das Recht des Stärkeren wird zur Schwäche des Rechts. Da wird aus einem Gläubiger ein staunender Ungläubiger. Aus, basta – wir zahlen nicht mehr. Verpflichtungen? Rechtssicherheit für die Vertragspartner? Brauchen wir nicht!

Der Schuldenschnitt und die letzten Entwicklungen mit der Bad Bank tragen dazu bei, dass im In- wie im Ausland die Frage der Zuverlässigkeit des Staates Österreich immer stärker öffentlich aufgeworfen wird. Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverluste angesichts der Häufung solcher Handlungen sind enorm. Wer Probleme hat, der macht Probleme. Der Staat hat das Problem der Ineffizienz, und damit setzt er das Vertrauen aufs Spiel.

Wehe, Vertrauen ist verspielt

Vertrauen aber ist wesentliches Asset einer Marke – auch eines Staates. Wenn Bürger und Unternehmen Vertrauen verlieren, führt dies unweigerlich zum Abstieg. Dann muss der röchelnde Staat entweder seine Daumenschrauben über die Schmerzgrenze hinaus anziehen, was zur Revolte führt, oder weiterwursteln, um in letzter Konsequenz wie Griechenland unter Kuratel gestellt zu werden. Ein System, das Rechtssicherheit und Vertrauen der Normunterworfenen zum Glücksspiel macht, verspielt das Glück der Zustimmung und wird irgendwann ausgespielt haben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Dr. Hans Bachmann
(*1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexter, Coach, Berater und Lehrer. Unterrichtstätigkeit als Dozent an den Fachhochschulen Joanneum und Hagenberg. Themen: Kommunikation, Persönlichkeit, Kreativität. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

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