Katalonien: Die Demokratie lässt sich nicht aufhalten

Gastkommentar. Wie die Regierung in Barcelona weiter für Unabhängigkeit kämpft.

Das spanische Verfassungsgericht hat vor Kurzem das Gesetz zu Volksbefragungen, das 2014 vom katalanischen Parlament verabschiedet wurde, für verfassungswidrig erklärt. 106Abgeordnete hatten für das Gesetz gestimmt, nur 28 dagegen – ein klares Zeichen für den breiten Rückhalt, den dieses Gesetz in der Politik und der Bevölkerung hat. Es hätte der Regionalregierung ermöglicht, ihre Bürger mittels nicht bindender Volksabstimmungen zu unterschiedlichsten Themen von allgemeinem Interesse zu befragen. Zudem hoffte die katalanische Regierung, durch diese gesetzliche Regelung am 9.11. 2014 eine Befragung zur politischen Zukunft Kataloniens durchführen zu können.

Als die spanische Regierung gegen das neue Gesetz Berufung einlegte, mussten wir einen anderen Weg finden, um unsere Bürger zu befragen. Wir fanden die Lösung in einem „Beteiligungsprozess“. Am 9.11. konnten sich so mehr als 2,3Millionen Bürger an den Wahlurnen frei über die politische Zukunft Kataloniens äußern. Die Demokratie lässt sich nicht aufhalten – das haben wir am 9.November auf höchst zivilisierte Weise gezeigt.

Wenig entwickelte Demokratie

Obwohl das Ereignis bereits vier Monate zurückliegt, hat jetzt das Verfassungsgericht befunden, dass Volksbefragungen, die dazu dienen, die Meinung der Bürger zu wichtigen Themen in Erfahrung zu bringen, irrelevant seien, auch wenn es sich um eine juristisch nicht bindende Befragung handle. Dies gibt denjenigen Recht, die sagen, dass Spanien ein Land mit einer wenig entwickelten Demokratie und noch weit entfernt vom Standard anderer europäischer Demokratien ist.

Es steht außer Frage, dass die kaum vorhandene demokratische Tradition in Spanien während der letzten 200 Jahre zu einer politischen Mentalität geführt hat, die dem Prinzip der Gewaltenteilung nicht den nötigen Stellenwert zumisst. Daher kam das Gerichtsurteil für niemanden unerwartet, zumindest nicht für die Mehrheit der katalanischen Bürger.

Schon seit Langem übt das spanische Verfassungsgericht nicht mehr seine Pflicht als unbeteiligter Schiedsrichter aus, sondern hat eine politische statt einer juristischen Rolle übernommen. Wie dem auch sei, weder dieses Gerichtsurteil noch andere von der spanischen Politik gefällte Entscheidungen werden den Willen der katalanischen Bürger brechen, frei und ohne Zwang über ihre politische Zukunft zu entscheiden. Am 27.9. wählen die Katalanen das nächste katalanische Parlament. Zum ersten Mal seit 1980 werden dies besondere Wahlen sein – sie werden einen plebiszitären Charakter haben.

Wahlen als Instrument

Da die spanische Regierung und ihre Gerichte ein gemeinsam vereinbartes Referendum, wie es in Kanada und Großbritannien mit großer Selbstverständlichkeit und gegenseitigem Respekt durchgeführt wurde, blockieren, bleibt uns Katalanen nur der Ausweg, die Parlamentswahlen als Instrument zu nutzen, um herauszufinden, ob die Gründung eines katalanischen Staates die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung hat.

Die Parteien, die diese Option unterstützen, werden dies explizit in ihren Wahlprogrammen aufführen, sodass der Grad der Unterstützung genau ermittelt werden kann. Falls das Ergebnis eindeutig für die Bildung eines unabhängigen katalanischen Staates spricht, hat die neue Regierung ein demokratisches Mandat zu erfüllen. In diesem Fall werden wir den Aufbau der nötigen staatlichen Strukturen abschließen, um einen reibungslosen Übergang zu garantieren, und hoffen, mit der spanischen Regierung und der EU über Zeitplan sowie Bedingungen für die Gründung eines neuen Staates verhandeln zu können, wenn dies der eindeutige Wille der Bürger Kataloniens ist.

Artur Mas ist Premierminister der spanischen Region Katalonien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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