Ein Strich, der den Unterschied macht

Über die Unvereinbarkeit von Gendersensibilität und Binnen-I: Zwischen den Geschlechtern wird es nur Frieden geben können, wenn das Übel des Binnen-I wieder aus der deutschen Sprache verschwunden ist.

Neutrale Sprache und Gendersensibilität sind untrennbar miteinander verbunden. Ich halte die Grundideen des Gender-Mainstreaming für richtig und finde die Töchter in der österreichischen Hymne notwendig. Manche Personen meinen, dass mit der Sprachform des Binnen-I eine Verbesserung beziehungsweise gar eine Lösung der sprachlichen Gleichbehandlungsproblematik gefunden werden könne. Die Absichten sind wahrscheinlich ehrenvoll.

Es ist auch unbestritten, dass das Binnen-I durch seinen hohen Provokationsgrad und die einfache Implementierung dazu beigetragen hat, das Thema der gendersensiblen Sprache einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es zeigt sich aber, dass sich auch in Sprachkonzepten Konstruktionsfehler nach einer gewissen Zeit gnadenlos offenbaren.

Der Konstruktionsfehler

Der Konstruktionsfehler des Binnen-I besteht darin, dass die Majuskel „I“ Teil der femininen Endung ist. Die Großschreibung überbetont das Weibliche stark, wodurch vom Maskulinum nichts übrig bleibt. Auch wenn hunderte Male dekretiert wird, Männer seien ebenfalls gemeint, wenn in einem weiblichen Wort der Beginn der weiblichen Endung hervorgehoben wird, so ändert das nichts an dem Eindruck, dass man sich als Mann eher verhöhnt als angesprochen fühlt.

Das Binnen-I hat wohl vor allem deswegen so viel Anklang gefunden, weil es ohne Nachdenken verwendet werden kann. Das Ergebnis entspricht leider auch dieser Denkverweigerung. Binnen-I-Texte verzichten meist auf eine Variation der Sprache und auf neutrale Formulierungen. Ein provokantes generisches Femininum kann als Antwort auf ein zu Recht als ungerecht empfundenes generisches Maskulinum keine Lösung sein. Ich empfinde es als eine Diskriminierungsumkehr.

Wer mit dieser Einschätzung nicht einverstanden ist, soll bitte erklären, warum ein mit Binnen-I geschriebenes „KollegInnen“ kein generisches Femininum, ein mit oder ohne Binnen-E geschriebenes „KollegEn“ aber ein generisches Maskulinum sei. Ich bin für gleiches Recht für alle und verlange von keiner Frau, sich durch ein generisches Maskulinum angesprochen zu fühlen. Ich weigere mich aber, mich mit gemeint zu fühlen, weil in einem femininen Wort ein Binnen-Buchstabe großgeschrieben wird und somit das Femininum noch stärker hervorgehoben ist als bei Normalschreibung.

Radikaler Feminismus

Ich fühle mich vielmehr provoziert und lehne diesen neutralitätsfeindlichen sprachlichen Radikalfeminismus ab, der verlangt, feminine Endungen zu betonen – ganz egal, ob in einem Wort ein gleichberechtigter maskuliner Anteil besteht oder nicht. Gerade weil ich sehr um Gleichstellung bemüht bin, empfinde ich das generische Majuskel-Femininum als Widerspruch zur grundsätzlichen Notwendigkeit von Feminismus und Gender-Mainstreaming.

Das Binnen-I ist entbehrlich. Die Alternativen gliedern sich in zwei Typen:
Typ 1 begnügt sich damit, geschriebene Texte gendersensibel zu gestalten, akzeptiert Sonderzeichen im Wortinneren und verzichtet auf den Anspruch, dass einzelne Wörter ausgesprochen werden können.

Es gibt bewährte Lösungen: den Schrägstrich oder den Bindestrich. Formulierungen dieser Art entziehen sich leicht dem Vorwurf, generische Maskulina oder generische Feminina zu sein. Denn diese Genera sind durch die Sonderzeichen gekennzeichnet und können somit weder in die eine noch in die andere Richtung fehlinterpretiert werden. Sie sind zwar nicht schön, aber sie sind neutral.
Der von mir bevorzugte Typ 2 versucht dem Anspruch gerecht zu werden, auch für die gesprochene Sprache und für Großbuchstaben brauchbar zu sein und auch die Schriftbild-Entstellung durch Sonderzeichen zu vermeiden.

Ich schlage vor, neutrale Formulierungen zu privilegieren (Neutralitätsvorrang). Werden neben bekannten Umschreibungen (Passiv etc.) auch die substantivierten Partizipien Präsens und Perfekt zugelassen, so ergeben sich Pluralformen wie z. B. Autofahrende oder Pensionierte. Das Wort „Studierende“ hat sich an den österreichischen Universitäten als unumstrittener neutraler Plural herauskristallisiert.

Es gibt keinen ausreichenden Grund, diesen Ansatz nicht auch auf alle anderen Wörter zu erweitern, die eine Verbalform besitzen. Das Repertoire neutraler und gendersensibler Pluralformen nimmt enorm zu.

Neutrale Pluralendungen

Für die verbleibende Restmenge des Typs 2 gibt es drei Möglichkeiten:
Es werden beide Geschlechter explizit angesprochen;
es werden Schräg- oder Horizontal-Striche verwendet;
es wird eine neue neutrale Endung eingeführt.

Für eine solche neutrale Pluralendung hat es schon mehrere Vorschläge gegeben. Ich füge einen weiteren hinzu: die Pluralendung (-es) der lateinischen dritten (konsonantischen) Deklination. Diese Deklination deckt sowohl maskuline als auch feminine Wörter ab. Die lateinische Sprache ist eine der Wurzeln der deutschen Sprache.

Solche Pluralformen würden z. B. lauten: Professores, Kolleges, Absolventes, Expertes etc. In einigen Fällen klingen sie gut, in anderen weniger gut. Ich finde, es ist ein wesentlich weniger starker Eingriff in die deutsche Sprache, für die Lösung eines Gender-Problems eine neue Endung zuzulassen, als wie im Binnen-I die maskuline Komponente und somit auch die Neutralität zu eliminieren.

Für einfachere Lösungen

Wer von der Binnen-Großschreibung fasziniert ist und eine gendersensible Lösung sucht, kann mit dem Binnen-I allein keine Lösung finden. Die Doppel-Majuskel wäre eine theoretische Möglichkeit. In den Plurals KollegInnEn, WissenschaftlErInnen etc. wären explizit sowohl die feminine als auch die maskuline Endung hervorgehoben. Doppelnennung ist aber nicht dasselbe wie Neutralität, und aufgrund der Komplexität finde ich einfachere Lösungen wie das lateinische -es zielführender.

Fazit: Das Binnen-I ist entgegen weit verbreiteter Fehleinschätzung nicht nur provokant, sondern auch nicht gendersensibel. Im Unterschied zu Lösungen mit horizontalem bzw. schrägem Strich macht das Binnen-I ein Wort zum überbetonten generischen Femininum, das mit gendersensibler Sprache nicht zu vereinbaren ist.

Es gibt einfache Lösungen für eine gendergerechte Sprache ohne Binnen-I. Mit etwas gutem Willen ist es leicht möglich, die sprachliche Sexismusfalle zu vermeiden. Unsere Zeit des sprachlichen Umbruches generiert zwangsweise Irritationen, bietet aber auch eine Chance für Verbesserung. Frieden wird es aber zwischen den Geschlechtern nur dann geben können, wenn das Übel des Binnen-I wieder aus der deutschen Sprache verschwunden ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

ZUM AUTOR

Univ. Prof. Dipl.-Ing. Markus Haider MBA
(* 1964) studierte Maschinenbau an der TU Wien und Betriebswirtschaft an der Universität ESSEC in Paris. Er arbeitete 13 Jahre im Energieanlagenbau in den USA, Frankreich und Deutschland. Seit 2006 leitet er den Forschungsbereich für Thermodynamik und Wärmetechnik an der TU Wien. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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