Redet endlich über Bildung!

Statt nach einem optimalen Bildungssystem zu suchen, verharren alle in der lieb gewonnenen Gewohnheit.

Da werden sich die Schüler gefreut haben: Über ein paar unentschuldigte Stunden wegen des „Schülerstreiks“ werde man „drüberschauen“, meinte die Bildungsministerin. Ein „bisserl“ unentschuldigt fernbleiben ist ja nicht schlimm! Ein übles bildungspolitisches Signal!

Es begann damit, dass die Bildungsministerin ein Sparpaket als Schulreform verkaufen wollte. Die Lehrergewerkschaft reagierte in bewährter Weise: Zwei Stunden mehr im Klassenzimmer seien schlicht unzumutbar. Wo kommen wir denn da hin, wenn in Zeiten, in denen immer mehr Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern ganz von Arbeit befreit werden und trotzdem (Arbeitslosen-)Geld bekommen, Lehrer womöglich mehr arbeiten müssen? Ein Vertreter der Lehrergewerkschaft äußerte sich auch gleich grundsätzlich: Es gehe darum, der Bildungsministerin zu zeigen, dass ohne die „Gewerkschaft“ nichts geht! Nicht dass dies wirklich überraschend wäre; mit welcher Selbstverständlichkeit da aber mitgeteilt wird, dass Bildungspolitik in Österreich nicht von der Regierung und dem Gesetzgeber gestaltet, sondern von der Lehrergewerkschaft gemacht wird, ist bemerkenswert.

Da wollten auch die Schüler nicht darauf verzichten, Profil zu zeigen. Die Lehrer, von denen sie sich instrumentalisieren ließen, hätten „auf ihre Kosten“ vier (oder fünf) freie Tage gestohlen; zusätzliche Unterrichtstage seien schlicht unzumutbar und ein Eingriff in die Freiheit der Schüler! Recht so: Wo kommen wir denn da hin, wenn zu den schon 180 Unterrichtstagen im Jahr weitere fünf dazukommen? Lehrlinge und andere Arbeitnehmer müssen mit fünf oder sechs Wochen auskommen? Na und? Schulautonome unterrichtsfreie Tage wurden – der Beobachter erinnert sich – für die Fortbildung der Lehrer und schulinterne Konferenzen eingeführt. Sie wurden aber im Laufe der Zeit in Ferien umgewandelt. Na und?

Es geht um den Erwerb von Arbeitshaltung

In dieser Debatte haben fast alle Teilnehmer gezeigt, wo es bei Bildungsdebatten in Österreich langgeht. Schüler dürfen selbstverständlich demonstrieren; aber wofür? Wo sind die, die es besser wissen müssen? Wer macht den Schülern klar, dass Bildung ihre Zukunft ist? Dass es in der Schule nicht nur um Lernen, sondern auch um den Erwerb von Arbeitshaltung geht? Dass man als Schüler ein von der Allgemeinheit mit viel Geld finanziertes Ausbildungssystem in Anspruch nehmen kann, um die eigenen Lebenschancen besser nutzen zu können?

Dass dies alles nicht in die Debatte einfließt, ist der wahre Skandal; Kleingeist, hemmungslose Vertretung von Gruppeninteressen zum Schaden der Allgemeinheit und politische Feigheit ergeben ein erschreckendes Resultat. Statt nach einem optimalen Bildungssystem zu suchen, verharren alle in der lieb gewonnenen Gewohnheit. Die Schülervertreter sind ein wenig frech, agieren aber sonst brav entlang den Linien ihrer „Mutterparteien“. Da wachsen zukünftige Studentenfunktionäre heran, die mit Vehemenz den Standpunkt vertreten, an der Universität seien Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht im Ausmaß von vier Unterrichtsstunden (= 3 Stunden à 60 min im Semester) eine unzumutbare Einschränkung der studentischen Lernfreiheit. Ich habe das selbst erlebt. Werden die dann am Ende Bildungssprecher ihrer Parteien?

Zu einer Sicht auf das Ganze und vor allem auf die Zukunft leitet sie niemand. Die Lehrergewerkschaft achtet penibel darauf, dass ihr Einfluss nicht geschmälert wird und dass das durch und durch von der Gewerkschaft beherrschte Schulsystem nicht verändert wird; ein System, das gute und engagierte Lehrer frustriert, das Bild der Lehrer in der Öffentlichkeit in schlimmer Weise beschmutzt, dafür aber die wenig bildungsbereiten Lehrer fördert und schützt.

Und die, die eigentlich die politische Verantwortung tragen? Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, biedern sie sich dem herrschenden Zeitgeist an, laufen jeder erhofften Wählerstimme nach und werden damit immer farbloser und verwechselbarer. Ihr Horizont endet beim nächsten Wahltermin, schäbige Kompromisse auf Kosten der Steuerzahler – Mietstundung durch die BIG! – versuchen sie als Erfolg darzustellen, echte Reformen unterbleiben. Dies obwohl solche höchst dringend wären. Zufriedene Lehrer, engagierte und wissbegierige Schüler wären das Ziel. Aber das interessiert offenbar nur wenige. Erträglich ist das alles eigentlich nur, wenn man weiß, dass sehr viele Lehrer, Studenten und Schüler klüger sind als ihre Vertreter. Bloß: Warum schweigt ihr? Warum lasst ihr zu, dass euer Ansehen in der Öffentlichkeit derart beschädigt wird? Redet endlich über Bildung!

O. Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer lehrt am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht und ist derzeit Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2009)

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