Angst fressen Seelen auf – der Wähler und Parteien

Was wirklich erschüttert: dass SPÖ und ÖVP keine Politik zur Verhinderung des Aufschwungs der FPÖ zuwege bringen.

Die Ergebnisse der jüngsten zwei Landtagswahlen werfen viele Fragen auf. Haken wir zuerst das Offensichtliche ab: Alle Hemmungen sind gefallen – sowohl in der Wählerschaft als auch bei den Gewählten. Dass eines Tages die SPÖ das FP-Tabu brechen würde, war absehbar, das Scharren mit den Füßen etwa bei Gewerkschaftern schon längst nicht mehr zu überhören. Überraschend ist lediglich, mit welch flotter Schamlosigkeit ein unbedeutender Provinzpolitiker alle Grundsätze und Parteitagsbeschlüsse über Bord wirft (und wie ungeniert man ihn gewähren lässt).

Es gilt, das langjährige „Work in Regress“ zu einem erfolgreichen Ende zu bringen: Nach Versenkung von Konsum und Bawag machen sich die emsigen Totengräber der ehemaligen Arbeiterbewegung jetzt daran, auch der SPÖ den Rest zu geben. (Fällt niemandem auf, dass die Sozialdemokratie ihre wenigen Wahlerfolge der vergangenen Jahrzehnte unter Gusenbauer und dessen Einschränkung der Macht der untoten FSG-Bonzen erringen konnte?) Hinter Tot-Blau (Rot-Blau wäre ein Euphemismus) steht kein strategisches Konzept, sondern die simple Logik der Machterhaltung. Wozu diese Macht dienen soll, außer einigen Leuten Pöstchen zu sichern, ist nicht erkennbar – das System Faymann ist im Burgenland angekommen.

Faymann schaut nur zu

Empörend ist nicht die Zusammenarbeit mit einer verhaltensauffälligen Partei, sondern die politische Dummheit, mit der das eingefädelt wurde. Ein Politiker, dessen Horizont eher nicht ausreicht, um den Seewinkel zu überblicken, riskiert für seine irrelevante Machterhaltung den Verlust der letzten Bastion der Sozialdemokratie, nämlich den Wiens. Dass in der SPÖ Statuten und Beschlüsse nichts bedeuten, hat man schon im Fall Ablinger erlebt.

Faymann, schon der zweite Schweigekanzler der Zweiten Republik, schaut zu. Während Schüssel schwieg, weil er wusste, was er tut, schweigt Faymann, weil er weder weiß, was er tut, noch was er tun soll. So weit die Aperçus.

Erschütternd ist nicht der Bruch eines Tabus, sondern dass SP und VP seit 30 Jahren keine Politik zur Verhinderung des Aufschwungs der FPÖ zuwege bringen. Wer es schafft, eine Fünf-Milliarden-Steuerrückvergütung zu vergurken, sich selbst die Schuld am Hypo-Desaster umhängen zu lassen (dank eifriger Untätigkeit kurioser VP-Finanzminister), hat zudem eindrücklich bewiesen, beim handwerklichen Können der FPÖ locker das Wasser reichen zu können.

Johanna Mikl-Leitners Versuch, die Standards von Frau Maria Fekter zu unterbieten, indem sie in virtuoser Ignoranz Zelte aufstellen lässt und damit die Angst vor Flüchtlingsmassen mittels eines höchst suggestiven Symbols bestätigt und verstärkt, spricht für den Willen zum politischen Selbstmord mit Anlauf.

Letztlich sind diese politischen Spiele Oberflächenphänomene. Die eigentliche Frage ist, wie es so weit kommen konnte, dass rund ein Drittel der Österreicher für eine Partei stimmt, die mehrmals bewiesen hat, dass sie weder regieren kann noch die Mindestanforderungen politischer Hygiene erfüllt.

Die Propagandasprüche der FPÖ mit „Hetze“ abzufertigen, ist aber zu billig, wenn rund die Hälfte der Bevölkerung im Laufe der Jahre schon einmal ihr Kreuzerl bei den Freiheitlichen gemacht hat. All diesen Menschen zu unterstellen, sie seien verhetzt, rechtsradikal oder gar verkappte Nazis, ist wohlfeiler Unsinn. Die Ursachen für das Wahlverhalten der Menschen liegen tiefer.

In den vergangenen Jahrzehnten hat man unter Hinweis auf den angeblichen Druck durch die Globalisierung eine rein ökonomisch orientierte Gesellschaft geschaffen. Die Menschen – ausgenommen jene in den geschützten Bereichen der Klientel der früheren Großparteien – müssen dauernd um ihr Leiberl rennen, immer in Gefahr, alles Erreichte zu verlieren. Es sind nicht „nur“ die Modernisierungsverlierer betroffen, sondern bereits relevante Teile des Mittelstandes.

Devastierte Sozialsysteme

Die vier Freiheiten der EU, wie sie heute gelebt werden, sind die Freiheit der Konzerne, zu tun, was sie wollen. Das zerstört die europäischen Sozialsysteme, ist ökologisch schädlich und ökonomisch fatal. Die Konkurrenz sitzt nicht in China, sondern etwa im Fall Wiens nur wenige Kilometer östlich.

Der Wahnsinn hat Methode: als Slowake in Wien arbeiten und billig leben in Bratislava. Entsprechend devastiert ist der Wiener Arbeitsmarkt, das ist nicht nur eine gefühlte Bedrohung. So schafft man eine angstgetriebene Gesellschaft und einen angstinduzierenden Zeitgeist.Man kann auch nicht oft genug wiederholen, dass es eine kranke Idee ist, Wohlstand zu schaffen, indem man die miesesten Instinkte der Menschen freisetzt: den Kampf jeder gegen jeden, den absoluten Egoismus und die Gier. Das ist, als ob die katholische Kirche predigen würde, die größtmögliche Anhäufung von Sünden führe direkt ins Himmelreich.

Das Pünktchen auf dem i

Wen wundert es, wenn Menschen in einer Bedrohungsgesellschaft Angstparolen folgen? Sie erleben die Realität tagtäglich am eigenen Leib: Die innereuropäische Lohndrückerei und die EU-internen Reservearmeen machen Angst und bereiten das Feld auf für falsche Propheten. Asylanten und Flüchtlinge sind dann nur noch das Pünktchen auf dem i.

Wenn man zu all dem noch Zelte aufstellt, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen Slogans der Art glauben, hier seien „dunkle Mächte“ am Werk, um uns bewusst mit Ausländern zu überschwemmen. Würden Politiker einmal einen Monat lang in Wien mit der U6 zur Arbeit fahren, würden sie vielleicht endlich die tatsächliche Dimension der Probleme kapieren. Das wäre auch den Bobos aus Wien-Neubau zu empfehlen, denn am Spittelberg bei einem Glas Prosecco lässt es sich locker über Asyl/Flüchtlinge/Ausländer philosophieren.

Ein guter Bekannter, den ich seit Ewigkeiten kenne, ein Linker vom alten Schlag, hat mir schon vor einigen Jahren gestanden, er habe seinen Stammbezirk, die Brigittenau, verlassen, weil er es dort vor lauter Ausländern nicht mehr aushalte und er keine Lust mehr habe, jeden Freitag „über Gebetsteppiche zu klettern“. Im alltäglichen Leben können Ideologie und Realität recht leicht kollidieren, wenn die Ängste der Menschen auf realem Erleben beruhen.

Angstbekämpfung an der Urne

Man sollte die FP-Wähler nicht einfach ins rechte Eck stellen, sondern eher als eine mit gutem Recht verzweifelte Selbsthilfegruppe verstehen, die mit dem Stimmzettel auf unzulängliche Weise gegen ihre Ängste ankämpft, weil sie von den regierenden Parteien im Stich gelassen wurde und wird – europaweit! In diese Lücke stoßen die Rechtsparteien mit ihren angstverstärkenden Parolen.

Aber wie es so ist: Angst fressen Seele auf – die der Wählerschaft und auch die der Parteien. Die Sozialdemokratie beweist es dieser Tage aufs Eindrücklichste.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Amon
(*1954 in Wien) lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist außerdem geschäftsführender Gesellschafter einer kleinen Steuerberatungskanzlei. Zuletzt erschienen zwei Bücher von ihm: „Panikroman“, sowohl Psychogramm eines Börsenhändlers als auch der Finanzmärkte, und „Nachruf verpflichtet“ als Band drei der „Wiener Bibliothek der Vergeblichkeiten“. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2015)

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