Komfortzonen sind passé

Auch das Medium Radio wird sich in der großen, rauen Welt des Internets der digitalen Zukunft stellen müssen.

Selten sind gegensätzliche Vorstellungen über technologische Fragen so heftig aufeinandergeprallt wie bei der Debatte um die Digitalisierung des Hörfunks: digitales Broadcasting via DAB(+) versus Streaming via Internet. Während die einen Radio technisch, nur als Broadcasting verstehen, definieren es andere inhaltlich unabhängig vom Verbreitungsweg inklusive Streaming.

Der um neue Umsätze bemühten Geräteindustrie stehen die US-Internetgiganten gegenüber. Den auf eine Neuordnung des Radiomarkts durch DAB(+) hoffenden europäischen Radioveranstaltern steht die auf Online setzende amerikanische Radiobranche gegenüber. Eine der Grenzen dieses Konflikts verläuft im Atlantik, es geht aber auch um unterschiedliche Zukunftsvisionen von Amerikanern und Europäern.

Dabei wird nicht mit Zahlenkunststücken, Untergriffen und Diffamierungen gespart. Zuletzt hat ein sachlich überforderter Autor die Bewerbung von Internetradios als Digitalradio gar als „glatte Lüge“ verunglimpft – nicht ahnend, dass diese Terminologie sogar vom britischen Rundfunkregulator in seinem jüngsten „Digital Radio Report“ verwendet wird.

Aber was ist eigentlich der tiefere Grund für die Heftigkeit dieser Kontroverse? Wie so oft geht es um den Wunsch nach einem geschützten Bereich, also um Geborgenheit.

Die Welt von gestern

„Radio braucht auch in Zukunft einen eigenen, unabhängigen terrestrischen Verbreitungsweg“ lautet das diesbezügliche Mantra regelmäßig. Hier wird die Sehnsucht nach dem Erhalt der bisherigen Komfortzone deutlich, der nicht nur Radioveranstaltern eigen ist.

Auch Verleger trauern den Zeiten nach, als Zeitungen die unangefochtene Informationshoheit hatten, diverse Fördermodelle sollen lieb gewonnene Strukturen bewahren, und Musikschaffende ziehen Konsumgarantie via Quoten dem Wettbewerb um den Konsumenten vor. Alles verständlich, nur halt leider von gestern.

Das Modell der Komfortzonen ist überholt, der „digitale Tsunami“ ist unbarmherzig. So wie lokale Verlage im kompromisslosen Wettbewerb mit globalen Online-Plattformen bestehen müssen, so wie Innovationsgeist geförderte Strukturen durchbrechen muss, so wie Musik den Konsumenten nur mehr erreicht, wenn dieser es will – so bleibt auch der Traum von einer abgeschotteten Komfortzone für digitales Radio genau das: ein Traum.

Die Realität sieht anders aus: Audioangebote werden in rasant steigendem Umfang auf Smartphones, Tablets und Co. konsumiert. Wer und was den User erreichen will, muss auf diesen Devices verfügbar sein. Online ist der Verbreitungsweg der Zukunft, die schon längst begonnen hat. An den digitalen Reservaten wird der Hauptstrom der Konsumenten einfach vorbeifließen.

Trotzdem kann DAB(+) sinnvoll sein: für Nischensender, für die Verlagerung öffentlich-rechtlicher Sender, die im Interesse eines dualen Rundfunks UKW-Frequenzen räumen. Der digitalen Zukunft wird sich Radio aber mit all seiner so lang als möglich aus der Quelle UKW gespeisten Kraft in der großen, rauen Welt des Internets stellen müssen. Je früher man sich damit abfindet und darauf einstellt, umso eher werden die heutigen Sender dort bestehen können.

Dr. Ernst Swoboda ist Geschäftsführer des bundesweiten Privatsenders Kronehit.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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