Das europäische Dilemma

Ein Bundesstaat, den viele aber nicht wollen, wäre die eigentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Euro.

Es ist richtig, dass Griechenland schon fast zehn Jahre vor der Eurokrise seine Budgetzahlen fälschte, allerdings war das den EU-Mitgliedstaaten bewusst. Gemacht wurde nichts, weil keine Anzeichen einer Krise am Horizont erkannt wurden und es politisch nicht opportun war, Griechenland zu bestrafen.

Es ist ebenfalls richtig, dass Griechenland auch nach der Krise Probleme hat, effektive staatliche Institutionen, beispielsweise zur Steuereintreibung, auf die Beine zu stellen. Im institutionellen Bereich hinkt das Land weiter extrem hinterher und hat es bisher verpasst, die nötigen Effizienzsteigerungen bei der staatlichen Hoheitsverwaltung zu erreichen.

Jetzt aber Griechenland aus der Währungsunion zu entlassen, enthüllt nur einmal mehr, was viele Wirtschaftsexperten wie Martin Feldstein schon in den 1990er-Jahren sagten – nämlich, dass die Währungsunion von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Die Theorie Robert Mundells von optimalen Währungsräumen besagt ganz klar, dass wirtschaftlich inhomogene Währungsunionen wie die europäische ohne fiskalische Umverteilung nicht existieren können. Denn es ist ja auch klar, dass es eigentlich keine Währungsunion gibt, in der alle Mitgliedstaaten wirtschaftlich homogen genug sind, um auf externe Schocks einheitlich reagieren zu können. Ohne Solidarität unter den Teileinheiten einer Währungsunion kann also das Währungsunionsprojekt nicht funktionieren.

Defizite der Währungsunion

Das hat man bei der Festlegung einer künftigen Währungsunion in Europa im Maastricht-Vertrag den Leuten aber nicht vermittelt, weil es Interessen gab, nur die Vorteile eines Euro darzustellen. Vor allem Frankreich konnte dadurch Deutschland näher an sich binden.

Diese Defizite der Währungsunion ließen sich aber nur durch eine Zentralisierung bzw. Harmonisierung des EU-Systems in Sachen Steuern und Fiskalpolitiken, Sozialsysteme und Wirtschaftspolitiken beheben. Die Währungstheorie geht von einheitlichen Volkswirtschaften aus, also von voll entwickelten staatlichen Gebilden. Das ist die EU aber nicht, und sie wird es auch nicht sein.

Insofern hat die europäische Währungsunion einem Prozess der Staatenwerdung vorgegriffen und kann ihr Versprechen des größeren Wohlstands für alle so nicht erfüllen. Man steht vor einem Dilemma: Der europäische Bundesstaat, den angeblich niemand will, ist gleichzeitig Grundvoraussetzung für den funktionierenden Euro.

Dass aber die Währungsunion aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungen seiner Mitglieder immer auf Solidarität beruhen wird, ist das große Problem. Denn Solidarität ist Funktion einer gewissen gemeinsamen europäischen Identität. Die Solidarität und somit Identität zwischen Wienern oder Vorarlbergern ist einfach größer als zwischen Griechen und Österreichern.

Sogar der Gründer der Idee des gemeinsamen europäischen Marktes, Jean Monnet, hat am Sterbebett gesagt, könnte er noch einmal mit der Einigung beginnen, würde er mit der europäischen kulturellen Einigung beginnen. Denn diese ist die Voraussetzung für Solidarität, die wiederum für das Funktionieren des Euro so wichtig ist.

Dr. Manfred Kohler war Lektor an der University of Kent und arbeitet derzeit im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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