Russisches Roulette um Irans Atom-Ambitionen

Neues Buch. „The Case against the Iran Deal“ setzt sich kritisch mit dem Wiener Abkommen auseinander. „Die Presse“ bringt Auszüge.

Vor Prognosen soll man sich unbedingt hüten, vor allem vor solchen über die Zukunft“ lautet ein Zitat, das verschiedenen Denkern zugeschrieben wird. Aber Prognosen sind, trotz der Gefahr, dass dabei Fehler unterlaufen, für politische Entscheidungen unbedingt erforderlich. Einige Prognosefehler können jedoch teurer zu stehen kommen als andere.

Präsident Obama knüpft das Iran-Atomabkommen an eine Reihe von Prognosen, darunter die folgenden:

Ohne das Abkommen ist es wahrscheinlicher, dass der Iran ein Atomwaffenarsenal entwickeln wird als mit dem Abkommen.
Durch das Abkommen ist es wahrscheinlicher, dass das iranische Regime Teil der Staatengemeinschaft wird und sich sein Status von einer verfemten Nation, die ihre eigene Bevölkerung tyrannisiert, Terrorismus exportiert, eine Vormachtstellung gegenüber seinen arabischen Nachbarn einnimmt und damit droht, Israel auszulöschen, verändern wird.
Mit dem Abkommen ist ein Krieg in Nahost weniger wahrscheinlich als ohne Abkommen.
Es gibt aber andere unbeabsichtigte Folgen, die das Abkommen, wenn auch unvorhersehbar, direkt oder indirekt mit sich bringt: Im Nahen Osten könnten neue Allianzen entstehen. Es wurde prognostiziert, dass sich Saudiarabien aufgrund des gemeinsamen Feindes dem Staat Israel annähern könnte. Aber auch das Gegenteil wäre möglich, und Saudiarabien nähert sich dem Iran an.

Saudis trafen Hamas-Führer

Im Folgenden ein Beleg dafür, wie unvorhersehbar der Nahe Osten ist: Innerhalb von wenigen Tagen nach der Unterzeichnung des Abkommens traf sich der saudische König mit der Führungsriege der Hamas, einer aktiv antiisraelischen Terrororganisation, die sowohl ein Ableger der Muslimbruderschaft ist als auch zu den Klienten des Iran zählt. Beide wurden von den Saudis lange als Todfeinde betrachtet.

Obwohl die iranische Führungsriege der Meinung ist, dass die USA bei ihren Verhandlungen Schwäche gezeigt haben, und sie Androhungen militärischer Maßnahmen seitens der USA als vergeblich betrachtet, ist sie sich nach wie vor im Klaren, dass Amerika die mächtigste Militärmacht der Welt ist, dass Obama nicht mehr lange Präsident sein wird und dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 unabsehbar ist.

Die unvorhersehbarste Konsequenz des Abkommens ist, ob und wann dem Iran der Break-out gelingt und er ein atomares Waffenarsenal entwickelt (das kann innerhalb eines Jahrzehnts der Fall sein, selbst wenn sich die iranische Führung voll und ganz an das Abkommen hält) – und wie er seine neu gewonnene Macht einsetzen wird.

Gibt es einen Grund zur Annahme, dass der Iran in zehn Jahren weniger geneigt wäre, die Spielregeln zu ändern, als er es jetzt ist? Das ist sicherlich das, worauf der Präsident – und der Rest der Welt – hofft. Aber ohne Vertrauen lässt sich so ein positives Ergebnis nicht prognostizieren.

Aus diesem Grund stellt dieses Abkommen für uns und unsere Verbündeten ein Würfelwerfen dar – oder vielleicht treffender: russisches Roulette. Obwohl die Chancen, beim russischen Roulette zu verlieren, sechs zu eins stehen, würde niemand eine Führungsperson loben, die uns in eine Situation gebracht hat, in der die Teilnahme am russischen Roulette die bestmögliche Alternative darstellt. Insbesondere, wenn wir in diese Situation geraten sind, indem wir unsere eigenen Waffen zur Seite gelegt haben.

Nach der Schlussfolgerung, dass die Verhandlungen mit dem Iran ein großer Fehler waren und das zustande gekommene Abkommen extrem gefährlich ist, könnte man erwarten, dass ich eine Ablehnung des Abkommens durch den Kongress und das Außerkraftsetzen des angekündigten Vetos des Präsidenten befürworten würde.

Aber diese Schlussfolgerung ergibt sich nicht notwendigerweise aus der vorherigen. Das ist möglicherweise die schlimmste Konsequenz der Verhandlungen und des Abkommens, dass sie uns in eine Lage gebracht haben, in der die Ablehnung eines schlechten Abkommens schlimmer sein kann als dessen Akzeptanz. Wir können es nicht wissen.

Sollte das Abkommen vom Kongress abgelehnt und vom Iran akzeptiert werden, würden die meisten Sanktionen ziemlich schnell verschwinden. Darüber hinaus wäre die militärische Option vom Tisch, weil sie nur vom Präsidenten eingesetzt werden kann, und nicht vom Kongress.

Als Außenminister Kerry sagte, dass „es keine Einschränkungen für den Iran geben wird“, falls der Kongress das Abkommen ablehnt, teilte er uns und dem Iran mit, dass keine militärischen Zwänge auferlegt würden, trotz der Behauptung, dass alle Optionen auf dem Tisch bleiben. Zweifellos wird das von der Iran-Führung so verstanden.

Mein unlängst von Thomas Friedman aufgenommener Vorschlag aus dem Jahr 2013 wäre, dass der Kongress den Präsidenten jetzt bevollmächtigt, „den Iran mit Gewalt daran zu hindern, jemals ein Atomwaffenstaat zu werden“. Doch ein solches Gesetz könnte den Präsidenten bloß autorisieren, aber nicht zwingen.

Drei Ziele erreicht

Das Ergebnis einer Ablehnung des Abkommens durch den Kongress könnte für Teheran eine Win-win-Situation darstellen, da es seine drei Ziele erreicht hat: Die meisten Sanktionen sind zu Ende, die militärische Option ist vom Tisch, und der Iran kann sich der internationalen Gemeinschaft als vernünftige Führung präsentieren.

Sollte der Kongress das Abkommen ablehnen, würden sich die Iraner auf ihrem Weg zu einer Atomwaffenmacht nicht verpflichtet fühlen, die Bestimmungen hinsichtlich der Zentrifugen, Inspektionen und andere Einschränkungen – auch wenn sie nur temporär sind – zu beachten.

Wäre der Iran überzeugt worden, dass die USA niemals zulassen würde, dass er Atomwaffen entwickle, und ein Ertragen der lähmenden Sanktionen somit unsinnig wäre, hätte er möglicherweise Präsident Obamas ursprüngliche rote Linie akzeptiert. Nachdem aber die Regierung unter Obama ihre Politik nach dessen Wiederwahl und den Halbzeitwahlen änderte – von Prävention zu Eingrenzung und von dauerhaft bis temporär –, waren die Iraner in der Lage, uns auszumanövrieren.

Kann gut sein, dass das Ergebnis darin besteht, dass der Iran innerhalb eines Jahrzehnts über ein Atomwaffenarsenal verfügt, das mit Präsident Obamas eigenen Worten „nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die USA ein Sicherheitsrisiko darstellt“.

Es ist natürlich auch möglich, dass Obamas „Einsatz“ – sein „Würfeln“ – das Ergebnis bringt, auf das alle hoffen: nämlich einen geläuterten Iran, der seine Atomwaffenziele nicht verfolgen wird, obwohl ihm das Abkommen erlaubt, weiterhin Zentrifugen laufen zu lassen, die zur Herstellung von Atomwaffen geeignet sind.

Aber Hoffnung ist nicht gleich „Vertrauen“ – obwohl keines von beiden eine gute Basis darstellt, um bei einem Atomabkommen, das durchaus die Sicherheit der Welt gefährden könnte, die „Würfel zu werfen“.

DER AUTOR

Alan Dershowitz ist emeritierter Professor der Harvard Law School. Er ist ein bekannter Rechtsanwalt und gilt als aktiver Vertreter der jüdischen Lobby in den USA. Obiger Text ist ein Kapitel aus seinem neuen Buch „The Case against the Iran Deal“ (Rosettabooks Verlag), das auch in „Newsweek“ erschienen ist und hier auszugsweise wiedergegeben wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2015)

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