Subsidiarität gilt für alle

Probleme wie die Flüchtlingskrise sollten auf der untersten Ebene gelöst werden. Was aber, wenn diese nicht willens ist?

Als engagierter Föderalist und Regionalist wundert man sich manchmal über die eigenen Überzeugungsgenossen, die oftmals nur eine Richtung der Subsidiarität kennen wollen. Sowohl Föderalismus als auch Regionalismus bauen ursächlich auf dem Subsidiaritätsprinzip auf. Auch die Europäische Union bekennt sich zu diesem Prinzip als tragendem Grundsatz.

Es bedeutet, dass Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen jeweils von der untersten staatlichen Ebene erledigt werden sollen, soweit sie dazu aus eigener Kraft in der Lage ist. Kann oder will diese Ebene eine notwendige Aufgabe allein nicht zufriedenstellend wahrnehmen, dann hat die nächsthöhere Ebene diese zu übernehmen oder helfend einzuspringen. Das geht von der Ebene der Gemeinde über die Regionen bzw. Länder, über den Nationalstaat bis zur EU. Wenn eine untere Ebene die Aufgabe zufriedenstellend erledigt, dann soll es der nächsthöheren Ebene untersagt sein, die Kompetenz an sich zu ziehen. Oft muss man die übergeordnete Ebene darauf hinweisen, dass sie sich in ihrer Zentralisierungsgier etwas angeeignet hat, das die kleinere Einheit ebenso erfolgreich erledigen kann. So weit, so gut.

Jedes Land hat es in der Hand

Nun erleben wir im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik seit Monaten das entwürdigende Spiel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die sich gegenseitig die Schuld für das Versagen zuweisen, womit die Lage nicht nur nicht gelöst, sondern noch verschärft wird. Die meisten Länder etwa sind – in dieser Haltung von vielen Gemeinden unterstützt – nicht in der Lage oder willens, ihre Aufgabe bei der Unterbringung von Flüchtlingen ausreichend zu erfüllen. Nun tritt aufgrund der Dringlichkeit der seltene Fall ein, dass – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip – die nächsthöhere Ebene, in diesem Fall der Bund, die Entscheidungskompetenz übernimmt.

Allerdings nur in jenen Ländern, die ihre Aufgabe nicht erfüllen, und nur im Hinblick auf Liegenschaften, die im Besitz des Bundes sind. Erfüllt ein Land seine Quote, tritt diese neue Regelung nicht in Kraft. Jedes Land hat es also selbst in der Hand, ob es von dieser Wirkung des Subsidiaritätsprinzips – einmal von unten nach oben – getroffen wird oder nicht. Erfüllt es die Quote nicht, darf es sich nicht wundern, wenn das Prinzip in die andere Richtung angewendet wird.

So legitim diese Einzelmaßnahme im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage ist, so sehr muss auch festgehalten werden, dass der Bund zahlreiche Kompetenzen innehat, die besser von den Ländern und Gemeinden erledigt werden könnten. Das Desaster der staatlichen Bildungspolitik etwa würde längst die Übertragung der Zuständigkeit für alle Schulen (außer Universitäten) an die Länder erforderlich machen. Die Übertragung der Zuständigkeit für die Bundesstraßen an die Länder hat sich für den Gesamtstaat äußerst positiv ausgewirkt. Ebenso sollten Länder und Bund endlich den Mut aufbringen, einen Teil der Steuerhoheit auf die Länder zu verlagern: also Übertragung von Kompetenzen und Macht von oben nach unten. So viel zu den neuerdings stärker erkennbar werdenden Gelüsten des Bundes nach mehr Zentralisierung.

Franz Schausberger, Universitätsprofessor für Neuere Geschichte, Landeshauptmann a. D., Vorstand des Instituts der Regionen Europas (IRE).

E-Mails an :debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2015)

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