Innere Aushöhlung der Marktwirtschaft

Am Beispiel Griechenland-Krise: Was die neomarxistische Karawane auf ihrem derzeitigen langen Marsch bezweckt.

Vor rund 25 Jahren ist der kommunistische Ostblock implodiert. Für viele Jahre danach waren „marxistisch“ und Ähnliches Unwörter. Angesichts des dramatischen Scheiterns des Wirtschaftssystems ist es deshalb verwunderlich, dass die Agitation dafür auf breiter Basis Auferstehung feiert. Nicht nur Wolf Biermann wundert sich, dass die schrecklichen Entartungen des Systems und die vielfachen Leiden und Entbehrungen, die es über die Bevölkerung brachte, in wenigen Jahren aus der Erinnerung völlig verdrängt wurden.

Naiv wäre es zu glauben, dass die Ideologie überwunden sei. Gestandene Altkommunisten, die bei Wahlen asymptotisch schrumpfen, blicken verwundert auf die Erfolge der alten SED-Strategie, mit der die neuen Linken große Erfolge feiern. Sie nisten sich in andere Gruppierungen ein und verfolgen straff organisiert ihre Ziele in einem unauffälligen Erscheinungsbild.

Wenn sie allerdings die Maske fallen lassen, erblicken die Wähler eine realistische Perspektive auf das, was ihnen nach den Wahlen bevorstehen könnte, und schrecken davor zurück, diesen Gruppen ihre Stimme zu geben.

Die traditionelle Sozialdemokratie ist wegen ihrer abnehmenden Attraktivität für Wähler nur allzu gern bereit, Steigbügelhalter zu spielen und historische Fehler zu wiederholen. So verstieg sich der (Halbzeit-)Präsident des Europaparlaments nach der Griechenland-Wahl im Jänner zu der Forderung, es müsse alles geschehen, damit die Regierung Tsipras ihre Wahlversprechen realisieren könne, statt deren Koalition mit einer extrem antisemitischen Partei zu rügen.

Gutes Anschauungsmaterial

Griechenland bietet Anschauungsmaterial im Zeitraffer. Der faktengestützte Zugang zur Problembewältigung wurde als Erstes torpediert. Mittels einer mediengestützten Kampagne wurde eine Mitleid provozierende Stimmung als Rahmen für unrealistische Forderungen bzw. Versprechen erzeugt. Doch die wenigen hunderten Milliarden Euro „Kredit“ verbunden mit Schuldenschnitt sind nichts anderes als eine Ausbeutung der Werktätigen anderer Länder. Hinzu kommt die von Berufseuropäern verbreitete Behauptung, es gebe keine Alternative. Intendiert wird damit die Übertragung griechischer Verhältnisse auf ganz Europa.

Theoriefeindlichkeit

Unterstützung findet die neomarxistische Karawane bei jenen teilweise tief bürgerlichen Gruppen, die von jeher durch vehemente Theoriefeindlichkeit aufgefallen sind. Entweder wollen sie sich nicht die Mühe machen, Theorie zu verstehen, oder es fehlen ihnen dazu die Voraussetzungen. Jedenfalls offenbaren sie fundamentale Unkenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge.

Vergröberung teilweise komplexer theoretischer Ergebnisse erleichtert das Gespräch mit Politikern, die meist wenig Kenntnis von Theorie haben und dazu neigen, selbst oder von Medien ernannten „Experten“ zu vertrauen. Sachdiskussion wird durch Medienpräsenz ersetzt. Aber selbst Studenten bleibt nicht verborgen, dass im neomarxistischen Kontext eher historisierende Ideologieromantik daherkommt als belastbare moderne Wissenschaft.

Die strategische Zielsetzung der Karawane ist evident: Marktwirtschaft von innen her aushöhlen. Ein besonderer Akzent liegt auf dem Ersetzen des Preismechanismus durch bürokratische Überwachung. Zumeist gelingt es, die grundlegende Stoßrichtung damit zu verschleiern und zugleich die Grundlagen des Funktionierens marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnungen abzubauen. An dieser fundamentalen Fehlleitung ist jedoch schon das Ostblocksystem gescheitert. Widerstand ist hoch an der Zeit.

Hanns Abele ist em. o. Univ.-Prof. für Volkswirtschaftslehre (Politische Ökonomie) und lehrte u. a. in der Schweiz, den USA und an der Wirtschaftsuniversität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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