Schlechte Aussichten: Keine Journalisten mehr da

Angst vor Blackout. Würden Österreichs Journalisten über Ausmaß und Folgen der Flüchtlingswelle nicht mehr berichten, blieben wir unwissend.

Sie glauben, eine derartige Sorge sei bloß konstruiert? Mitnichten. Sie ist ein ernsthaftes Thema bei Medientagungen bis hinein ins Parlament. Die Informationswelt ist zweigeteilt – noch gibt es die klassische Information durch Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und den mit diesen verbundenen Internet-Service. Und auf der anderen Seite mächtige, global operierende Informationsmaschinen, die alles als Information bezeichnen, was sich im Vorbeigehen auffischen und über ihre Netze verteilen lässt. Social Media wie Facebook gehören dazu, Google, YouTube, Amazon, Apple. Ihr Erfolgsgeheimnis ist nicht die Erarbeitung und verantwortungsvolle Prüfung wichtiger Neuigkeiten, sondern die mühelose Ausschüttung von Unerheblichem aller Art. Sie schicken nicht so wie „Die Presse“ und jedes andere seriöse Medium unter hohen Kosten Journalisten nach Ungarn, Mazedonien, Serbien, Griechenland und in die Türkei, von wo sie täglich und sogar bei Nacht über die Entwicklung der Flüchtlingsströme berichten.

Je mehr das Publikum und vor allem das junge Publikum die gratis auf das Smartphone gelieferten Häppchen oder auch nur die berüchtigten „Shitstorms“ mit relevanten Informationen verwechselt, desto öfter fragen sich Medienunternehmer, ob der ehrliche Journalismus noch ein tragbares Geschäftsmodell bleiben wird. Vielleicht werden in der nicht gar so fernen Zukunft Internetportale aus Indien oder Silicon Valley darüber berichten, was sich am Grenzübergang von Nickelsdorf abspielt. Und über alle anderen Themen auch. Technisch wär's kein Problem.

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Der Einsatz der „Presse“-Redakteure war und ist eindrucksvoll. Zur Qualität dieser Leistungen gehört auch, dass man offen darüber diskutiert, ob und wie gut die Arbeit handwerklich gelingt. „Von hier aus (Ungarn) geht es zur nächsten Station des Dramas“, heißt es in einem Bildtext (12.9.). Ist die Flüchtlingswelle ein Drama, das auf einer Theaterbühne abläuft? Im folgenden Fall garantiert nicht: „Drama auf A4: Expertise belegt Erstickungstod“. Der Tod der 71 Opfer ist kein Drama, sondern eine Tragödie gewesen. Ein triftiger Grund also, davor zu warnen, solide Begriffe der Sprache ohne Prüfung durchzumischen wie Spielkarten.

„Mehr als 30.000 Flüchtlinge befinden sich auf den griechischen Inseln, die auf das Festland gebracht werden“ (11.9.). Nein, Inseln wurden bisher nicht aufs Festland gebracht.

Hier hat die Verschiebung bloß lokale Dimension: „Salzburg: Zwei Tote bei Frontalzusammenstoß“ (2.9.). Die Kollision ereignete sich laut Text in Bad Mitterndorf, Bezirk Liezen. Zwar Salzkammergut, aber in der Steiermark.

Beim Vergleich des Genussmittel-Konsums der Völker scheint es kontinentale Verschiebungen zu geben. Die Europäer trinken und rauchen mehr als alle anderen, berichtet die Zeitung: „Freilich gibt es auch innerhalb der europäischen Region Unterschiede etwa zwischen den skandinavischen Ländern und Zentralasien“ (24.9.).

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Der Anglizismenfimmel geht so weit, dass ganz Wien aus „Locations“ zu bestehen scheint, zu denen man mit der Nightride-U-Bahn gelangt, besonders während des Vienna-Summer-Break-Festivals (28.8.). Knapp 50 Locations sind es laut „Presse“. Da wird Vienna „zur Drei-Tage-Party-Location“. Offenbar ein paradiesischer Platz für „Stadtmenschen“. Wie lautete eigentlich der in Vergessenheit geratene Name für Vienna?

Ab und zu geraten Muttersprache und das Englische durcheinander: „Ein Foto eines tragischen Ereignisses wird geposted“(17.9.) Diese Schreibweise von „geposted“ ist ein sprachliches Hybridprodukt.

Bei der Behandlung von Gewalt in der Familie sei die Zusammenarbeit von Lehrern, Beratern und Polizisten „viel Wert“. Die Klein- oder Großschreibung macht viele Menschen unsicher. Bei „wert sein“ gibt es keinen Zweifel, man schreibt es klein.

„Porsche-Chef hält selbst fahrendes Auto für Hype“ (14.9.). Er wird ein selbstfahrendes Auto gemeint haben und dieses auch richtig auf „selbst“ betont haben.

„Übernächste Woche beginnt die Hadsch“, schreibt die Zeitung, und weiter: „Der Hadsch ist eine der fünf Säulen des Islam“ (12.9.). Der oder die Hadsch? Das ist eine Frage an das Wörterbuch. Richtig ist das maskuline „der Hadsch“. (Anm. d. Lektorats: Laut „ÖWB“ sind „die“ und „der“ Hadsch zulässig.)

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Überraschend kommt ein Briefkuvert mit ausgeschnittenen „Presse-Grafiken“ daher, abgeschickt vom „Presse“-Leser und ehemaligen „Wirtschaftsblatt“-Herausgeber Jens Tschebull. Er schreibt aus dem Ruhestand, aber mit seiner üblichen Energie: „Bitte (bitte!), versuchen Sie den Grafikern der Presse nahezubringen, dass sie Angehörige eines Informationsmediums sind und es Aufgabe einer Info-Grafik wäre, Sachverhalte unmittelbar einleuchtend und optisch ansprechend darzustellen, nicht aber, leer gebliebene Flächen zu behübschen.“

Das ist Tschebulls harscher Ton, den ich in meiner „Wirtschaftsblatt“-Zeit gründlich kennengelernt habe. So pauschal kann ich sein Verdikt nicht übernehmen, denn die Zeitung bringt auch gute Grafiken zusammen. Regelmäßige Kritik gibt es freilich auch in der „Spiegelschrift“, beispielsweise jetzt aktuell: Ein Kernproblem aller Flüchtlingsströme entsteht an Grenzübergängen. Bei den Grafiken am 15. und 17.9. sind aber die Staatsgrenzen Südosteuropas kaum bis gar nicht zu erkennen.

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Nur nichts Blaues im Wahlkampf, scheint der oberösterreichische SPÖ-Chef Entholzer zu denken. Er „bleute“ laut „Presse“ seinen Funktionären ein, dass die FPÖ nur blende (29.8.).

„Griechenland wächst dreimal so schnell wie Österreich“, was aber gemessen an der auf Talsohle befindlichen griechischen Wirtschaft kein Wunder, sondern ein irreführender Vergleich ist (29.8.). Schon im Untertitel wird zugegeben, was davon zu halten ist: Bis Jahresende sei ein Rückfall zu befürchten.

Leser haben Geheimniskrämereien in Zeitungen gar nicht gern. „Bankenabgabe bleibt“, berichtet „Die Presse“ (12.9.) und zeigt auf, wieso Reformpläne gescheitert sind, obwohl die Banken von „Österreichs prominentestem Medienberater“ unterstützt worden seien. „Doch dann bekam eine Zeitung davon Wind und berichtete über das Vorhaben.“ Welche Zeitung, welcher Medienberater, werden viele Leser rätseln. Es war der „Standard“, der als erste Zeitung von dem Geheimpakt und den Beraterdiensten der Agentur Change Communications des Lobbyisten Wolfgang Rosam berichtet hatte. „Damit war der schöne Plan kaputt.“

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Wenn Journalisten ihre beliebten Metaphern aus Flora und Fauna beziehen, setzen sie sich fallweise dem Verdacht aus, den Naturkundeunterricht in der Schule zu oft geschwänzt zu haben. „Diese Wahnidee bringt die seltsamsten Blüten zum Knospen“, heißt es im Zusammenhang mit der paranoischen Kommunistenjagd McCarthys nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA (19.9.). Zwar gibt es Blütenknospen, aber keine knospenden Blüten.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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