Was für die Kandidatin Irmgard Griss spricht

Das Bundespräsidentenamt gehört nicht zur Erbpacht der Großparteien. Für die Wähler eröffnet sich die Chance, für eine Persönlichkeit stimmen zu können, die zwar politikaffin ist, die sich aber von keiner Partei vereinnahmen lässt.

Der Hinweis von Anneliese Rohrer in ihrem „Quergeschrieben“ vom 17. Oktober, dass die Bewerbung von Irmgard Griss um das Bundespräsidentenamt aus mehreren Gründen Unbehagen auslöse, mag für die Kolumnistin gelten – nicht aber für uns Wähler. Der Hype um ihre Kandidatur wird ja vor allem von den Medien inszeniert, weil sich einzelne Journalisten dadurch profilieren möchten.

Es ist jedenfalls nicht die Schuld von Frau Griss, dass sie als Kandidatin vom Publikum vom Start weg so aufmerksam aufgenommen wird. Und ist es daher auch nicht fair, in einem Beitrag über sie zu schreiben, dass sich die Öffentlichkeit allzu leicht von ihrer medialen Präsenz leiten lasse.

Anneliese Rohrer unterschätzt zumindest das Einschätzungsvermögen von „Presse“-Lesern und wohl insgesamt die österreichische Wählerschaft.

Ermüdender Parteienzank

Frau Griss mit Claudia Bandion-Ortner auf eine Stufe zu stellen ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Insidern der Justizszene war von Anfang an klar, dass Bandion-Ortner als Justizministerin überfordert sein würde. Für ihre Bestellung zur Ministerin war vor allem das Anschieben der „Kronen Zeitung“ ausschlaggebend; Erwin Pröll und Christian Konrad haben dann die Ernennung administriert.

Mir fehlt überhaupt die Schlüssigkeit der Argumentation von Frau Rohrer in ihrem „Quergeschrieben“, obwohl ich ihre Gedanken allgemein sehr schätze. Es ist das gute Recht von Frau Griss, sich als überparteiliche Kandidatin zu positionieren – umso mehr, als es hier um eine Wahl der bestgeeigneten Person für das Präsidentenamt geht und nicht um die Wahl einer Partei. Von dem seit Jahrzehnten andauernden Parteienzank haben die Österreicher genug. Jetzt eröffnet sich endlich die reelle Chance, für einen Kandidaten zu stimmen, der zwar politikaffin ist, sich aber von keiner Partei vereinnahmen, geschweige finanzieren lässt.

Wenn die beiden Regierungsparteien, die seit Jahrzehnten an der Macht sind, ein Konzept und ein Programm gehabt hätten, hätte sich nicht eine neue bürgerliche Bewegung – nämlich die Neos – relativ auf der politischen Bühne etablieren können und wäre auch die FPÖ nie so stark geworden. Im Wesentlichen handelt es sich bei ihren FPÖ-Wählern letztlich um Protestwähler, die die unfähige ÖVP/SPÖ-Koalition schwer verdrossen gemacht hat. „Django“ wurde von Anfang an maßlos überschätzt, Faymann ist eine Marionette von Häupl und der Gewerkschaft.

Zu Anneliese Rohrers Aussagen ist weiters anzumerken, dass es Kriterium eines intelligenten Menschen ist, seine Ansichten zu ändern und nicht (ausschließlich) von einer vorgefassten Meinung auszugehen. Das lernt jeder Richter bereits zu Beginn seiner Gerichtspraxis, und er übt diese Vorgangsweise bis zum Ende seiner Laufbahn aus. Bei Frau Griss „reichte“ es bis zur Präsidentin eines österreichischen Höchstgerichtes. Sie war die erste Frau in dieser Position – so wie sie auch die erste Frau im Präsidentenamt sein könnte.

Authentische TV-Auftritte

Frau Griss kann es sich jedoch im Unterschied zu den anderen Kandidaten der politischen Parteien, die sich gegenseitig belauern und deren Wahlkampf mit Steuergeldern finanziert wird, nicht leisten, aus taktischen Gründen mit ihrer Kandidatur zuzuwarten, da sie erst ihren Bekanntheitsgrad in der Gesamtbevölkerung steigern und die Finanzierung sicherstellen muss. Die Behauptung mancher Kommentatoren, dass sie keine Kandidatin der Zivilgesellschaft sein könne, wenn sie sich von der FPÖ oder sonst einer Partei unterstützen lasse, ist nicht schlüssig. Zum einen geht es vor allem um eine Persönlichkeitswahl, zum anderen kann man sich der Unterstützung durch andere Parteien nicht entziehen.

Auch wenn Irmgard Griss postulierte, sich von einer Partei zu distanzieren, könnten selbstverständlich die Wähler dieser Partei so wie alle anderen Wahlberechtigten sie wählen. Ein Bundespräsident soll und darf auch keine politische Position vertreten, er muss vor allem persönliche Autorität und Integrität zeigen. Entscheidend ist das Menschenbild und relevant sind die Visionen des Bundespräsidenten für Österreich.

Das bisherige öffentliche Auftreten von Frau Griss ist sehr authentisch, das hat sie auch in TV-Interviews bewiesen, in denen sie uns aufgeklärt hat, wie es zu der einstigen Aussage gekommen sei, „wenn sich die beiden Parteien auf meine Person einigen“. Wenn schon von Standpunktänderungen die Rede ist, verweise ich etwa auf die Ansage des niederösterreichischen Landeshauptmanns Pröll vor einiger Zeit: „. . . kommt in meiner Lebensplanung nicht vor“.

Erwin Pröll polarisiert

Übrigens wurde der Landeshauptmann mit einer so überwältigenden Mehrheit in Niederösterreich gewählt, dass die dortige Bevölkerung es wohl nicht verstehen würde, wenn er sie im Stich ließe. Ich finde überhaupt, dass es ein schwerer Fehler der ÖVP wäre, Erwin Pröll als Bundespräsidentschaftskandidaten aufzustellen, weil er viel zu sehr polarisiert.

Frau Griss hat in der „ZiB 2“ alle uns interessierenden Fragen authentisch beantwortet – insbesondere, dass sie sich nicht einfach in ein „Kasterl“ stellen lässt. Gemeint ist damit, dass sie von der Zivilgesellschaft gewählt werden will – und nicht von „Linken“ oder von „Rechten“.

Der Bekanntheitsgrad von Frau Griss ist schon durch ihren Vorsitz im Hypo-Untersuchungsausschuss hoch. Obwohl vom damaligen Vizekanzler, Michael Spindelegger, auserkoren, nahm sie bei der Beurteilung des Hypo-Skandals keine Rücksicht auf allfällige Wünsche der Parteien und der Regierung, sondern sie deckte das breite Versagen der Beteiligten schonungslos auf.

Fehlende Volksnähe

Die beiden jetzigen Regierungsparteien sollten daher nicht erstaunt sein, dass ihnen die Wähler in Scharen davonlaufen. Kanzler und Vizekanzler treffen ihre Entscheidungen nicht im Interesse des Staates, sondern aus parteipolitischen Gründen. Rudolf Hundstorfer wird von der Gewerkschaft favorisiert, Pröll von sich selbst. Im Hinblick auf die überragende Qualifikation von Frau Griss wären SPÖ und ÖVP gut beraten – nicht zuletzt auch aus Kostengründen im Interesse der Steuerzahler –, auf ihre jeweiligen Kandidaten zu verzichten und eine Wahlempfehlung für Irmgard Griss abzugeben.

Die Zivilgesellschaft ist die Mehrheit der Österreicher, die zumindest den Repräsentationsposten eines Bundespräsidenten nicht einer politischen Partei überlassen will. Frau Griss lässt sich von keiner Partei vereinnahmen. Auch wenn diverse Politiker ihre Kandidatur grundsätzlich begrüßt haben, kommen sie nur den sich gegenseitig belauernden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ zuvor, die wieder einmal beweisen, dass ihnen die Volksnähe fehlt. Sonst hätten sie schon längst erkennen müssen, dass die Österreicher zumindest für das Amt des Bundespräsidenten keinen eingefleischten Parteibonzen mehr wünschen.

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DER AUTOR




Prof. Dr. Nikolaus Lehner
(geboren 1939 in Wien) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Er war 40 Jahre lang Rechtsanwalt in Wien, spezialisiert auf Kunst, Kultur und Patientenschutz. 2008 wurde ihm für seine Verdienste um die Republik Österreich der Berufstitel Professor verliehen. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)

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