Politiker, Medien und entbehrliche Angstmache

Wem nützt es, wenn der Staatsschutz vor Radikalisierung und die Innenministerin vor möglicher Gewalttätigkeit von Flüchtlingen warnt? Über unnötige und schädliche Aussagen in einer Zeit der Unsicherheitsgefühle.

Es scheint, dass insbesondere die für Sicherheitsfragen im weitesten Sinn zuständigen Institutionen beziehungsweise Personen einen geradezu unwiderstehlichen Drang haben, zu kommunizieren. Und dies vielfach, wie es scheint, ohne gleichzeitig zu bedenken, welche Wirkungen ihre Aussagen haben oder haben könnten. Das führt dazu, dass manche solcher Aussagen hier als Beispiele für „entbehrliche Aussagen“ – oder schlimmer: „schädliche Aussagen“ dienen können.

1. Schädliche Aussagen

Einige Beispiele: Am 7. November 2015 lautete die Schlagzeile auf Seite 1 der „Presse“: „Staatsschutz warnt vor Radikalisierung“. Der Staatsschutz erwartet offenbar, so der Untertitel dieser Überschrift, „mehr Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten im öffentlichen Raum“. Bloß: Wen warnt der Staatsschutz, und warum muss das am 7. November der Blattaufmacher der „Presse“ sein?

Sinn macht diese Warnung nach innen – in den Organisationen des Staates, insbesondere innerhalb der Polizei. Da lohnt sich erhöhte Sensibilität und Wachsamkeit. Aber nützt die Warnung sonst jemandem? Dient sie nicht allenfalls sogar der insgeheimen Legitimation von Aktionen durch rechtsextreme Aktivisten?

Und selbst, wenn das nicht der Fall sein sollte: Macht die Warnung nicht vor allem Angst? Dann wäre sie jedenfalls entbehrlich, ich würde sogar sagen: schädlich.

Die Innenministerin „warnt vor Gewalteinsatz an den Grenzen“ („Presse“, 29. 9.). Wen warnt Johanna Mikl-Leitner? Und warum denkt sie, dass das sinnvoll oder gar nötig ist?

Die Innenministerin war in der „Kronenzeitung“ vom 24. Oktober mit folgenden Äußerungen zitiert: Viele Flüchtlinge seien panisch. „Mit Gewalt ist zu rechnen.“ Was ist der Nutzen dieser Aussage? Was ist der Effekt? Die heute schon Ängstlichen werden zusätzlich bestärkt, heute noch neutral gegenüber Flüchtlingen Eingestellte fangen auch an, Sorgen vor Gewalt durch Flüchtlinge zu entwickeln? Kategorie: zumindest entbehrlich.

Aussagen wie etwa, man müsse „den Flüchtlingsexpress stoppen“ auf einer ÖVP-Homepage, der Innenministerin zugeschrieben, verstärken oder erzeugen nur Ängste, Österreich drohe eine Überflutung. Zumindest entbehrlich.

Freilich gibt es auch das Gegenstück in Gestalt der Aussagen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit ihrer humanitären Haltung und der Äußerung „Wir schaffen das“ erheblich zum Flüchtlingszustrom nach Deutschland beigetragen hat – ja vermutlich sogar unzählige Flüchtlinge überhaupt erst zum Aufbruch ins gelobte Deutschland animiert hat. Auch hier stellt sich natürlich die Frage, ob andere Kommunikation nicht sinnvoller gewesen wäre, ohne gleichzeitig bloße Abwehr samt allen negativen Begleiterscheinungen zu signalisieren.

2. Entbehrliche Aussagen

Zu fragen ist natürlich nach der Perspektive, aus der heraus die Bewertung „entbehrliche Aussagen“ erfolgt. Da liefert die Kommunikation wahlwerbender Kandidaten und ihrer Parteien reiches Anschauungsmaterial. Als „entbehrlich“, um nicht zu sagen „schädlich“ im Sinne der jeweils kommunizierenden Person oder Institution können dabei Aussagen bewertet werden, die den Kandidaten nicht, deren politischen Konkurrenten allerdings helfen.

Die Aussage etwa des im Wahlkampf stehenden oberösterreichischen Landeshauptmannes, Josef Pühringer, die Grenzen müssten angesichts der Flüchtlingswelle geschlossen werden, nützte ihm und der Bevölkerung, die er vielleicht gern schützen wollte, nicht, zumal er selbst dazu gar nichts beigetragen hat. Aber sie war nützlich für die Freiheitlichen, die in diesen Fragen deutlicher sind.

Die Forderung des damaligen steirischen Landeshauptmannes, Franz Voves, im Wahlkampf, es müsse Sanktionen für nicht Integrationswillige geben, nützte ihm offensichtlich auch nicht, sondern passte in die Verbreitung des Vorurteils, man könne der widerspenstigen Migranten anders nicht Herr werden. Härtere Saiten müssten aufgezogen werden. Im Sinne der steirischen SPÖ entbehrlich, aber nützlich für die Freiheitlichen. Insofern sogar schädlich. Man sollte die eigene Zielgruppe nicht selbst zum Gegner treiben.

3. Schädliche Nachrichten

Medien haben ihren Anteil am Transport entbehrlicher und schädlicher Aussagen. Während man aber von unabhängigen Medien nicht verlangen kann, entbehrliche Aussagen des hier beschriebenen Typs zu unterdrücken – sie machten sich der parteilichen Unterstützung der schlecht beratenen Kommunikatoren und ihrer Parteien schuldig – liegt die Sache beim Transport schädlicher Nachrichten etwas anders. Ohne mediale Übertragung könnten die hier als schädlich qualifizierten Aussagen kein Publikum erreichen und blieben deshalb unwirksam und harmlos. Ist aber Angstmache die Aufgabe unabhängiger Medien, mögen auch andere hinter den angstmachenden Aussagen stehen, die Medien zu Nachrichten machen?

Wohlgemerkt: Es geht nicht und kann nicht darum gehen, Medien daran zu hindern, über Gefahren zu berichten, um die davon Betroffenen zu warnen und ihnen zu helfen, womöglich den Gefahren schadlos zu entrinnen.

Das aber bedeutet, dass den Journalisten Verantwortung bei der Auswahl beziehungsweise bei der Wortwahl der transportierten Nachrichten zukommt. Kurz: Schädliche Nachrichten sollten sie nicht transportieren.

4. Nicht durchdachte Lösungen

Eine Woche vor der Oberösterreich-Wahl trat die ÖVP bundesseitig mit der Forderung nach „Asyl auf Zeit“ hervor. Bezogen auf die wenige Tage später folgende Wahl vollkommen entbehrlich – verzagter Populismus hilft nicht. Da wären schon drastischere Aussagen nötig gewesen, derer sich die ÖVP glücklicherweise enthalten hat.

Der Vorschlag bedient – darin liegt sein Populismus – vorhandene Ressentiments: Man wolle die ungebetenen Gäste eben nicht auf Dauer am Hals haben. Der Punkt ist bloß: Wollen wir von den Migranten auch Integration, Integrationsbereitschaft und den damit verbundenen Aufwand, dann sollten wir den Menschen eine dauerhafte Perspektive geben. Schon allein eine Lehre für junge Flüchtlinge dauert länger, als das nun kommende „Asyl auf Zeit für drei Jahre“. Die Neuregelung, die nun auf Vorschlag der ÖVP kommt, hilft nicht, schadet aber.

Das Recht, unwillkommene anerkannte Flüchtlinge wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, bestand bereits vorher. Das sollte nicht mechanisch, sondern selektiv angewendet werden.

Nicht durchdachte Lösungen können daher zumindest in die Kategorie entbehrlich eingeordnet werden – hier wohl eher schädlich. Allerdings ohne mediale Verantwortung.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Caspar Einem
(* 1948 in Salzburg) studierte Rechtswissenschaften in Wien. Er arbeitete in der Arbeiterkammer Wien und bei der ÖMV, ehe er in die Politik ging; von 1995 bis 1997 Innenminister, von 1997 bis 2000 Minister für Wissenschaft und Verkehr. Von 2000 bis 2007 Europasprecher der SPÖ, derzeit Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach. [ Forum Alpbach]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)

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