Unsere Braven? Das Heer im Einsatz an einer Grenze

Private Erinnerungen an chaotische Wochen im Süden Tirols.

Das Bundesheer will (ausnahmsweise nicht als Hilfsfeuerwehr) seinen gesetzlichen Pflichten gem. §1/2 der Grundvorschrift ADV nachkommen und sich zwecks halbwegs vernünftiger Ordnung an den Grenzen postieren. Das klingt fein und nach Verfassungserfüllung.

Es ist lohnend und skurril an 1967 zu erinnern: Unser Heer verteidigte damals die Heimat gegen die Südtirol-Bumser. Wir hoffen, es wird 2016 anders. Ganz anders. Denn damals herrschten Zumutung, Inkompetenz, militärische Blödheit und sogar Gesetzesbruch pur.

Der Autor dieser Zeilen, weiland eben erst 19 geworden, war dabei. Weit oben in Tirol, am Hundskehljoch, über sieben Wochen, durchgehend, abgeschnitten von fast allem.

Es folgen nun Fakten, Soldatesken, die keine waren.

Niemand wusste etwas. Im Juli. Man wurde als Grundwehrdiener in den Kasernen vergattert, Wiener (sic!) Jägerkompanien in den Westen verlegt, junge, oft sozial auffällige Leute, die zum Teil noch nie hohe Berge gesehen hatten, die nicht wussten, was das sein mochte, (Süd-)Tirol mit heimlich über die Berge einsickernden, gar wüsten Attentätern. Manche glaubten überhaupt, jetzt in einen Krieg zu ziehen. Das Offiziers- und höhere Unteroffizierscorps stellte sich bald als ebenso uninformiert heraus.

Sie haben uns plötzlich in Züge gepfercht, in Lkw. Dann hatte man hinaufzusteigen weit über 2000 Meter, in Talschlüsse, wo es nichts mehr gab als Almen und Wildbäche. Die Ausrüstung war eine bodenlose Frechheit: keine Zelte oder Anoraks, zwei Hosen, ein Pullover, nur ein paar Bergschuhe (wie die armen Sherpas am Himalaja). Man suchte Schutz in verfallenen Almhütten. Wartete. Verpflegung kam von Haflingertrecks, Post selten; man ahnte nicht, für wie lang man verschickt war, abgeschnitten wie weiland bei einem Feldzug.

Allerdings! Keinem war klar, was man eigentlich hätte tun sollen. Irgendein Capo hatte etwas von Kontrollen dahergeplappert. Man stand in der Gegend und wusste nicht, ob man etwa Wanderer hätte perlustrieren oder festnehmen sollen. Die Offiziere schlichen sich bald. Gelegentlich kam ein Hubschrauber mit Stabskommandanten; wir traten zwischen Murmeltierlöchern an, wurden angebrüllt und wieder allein gelassen. Der Vorposten Österreichs saß einfach oben, fror, ging gelegentlich auf Streife, ohne zu wissen, wohin und wofür.

Waffen und scharfe Munition

Heikel war es, weil da doch auch Dutzende junger Männer etwa aus Wiener Praterbezirken im sinnlosen Haufen festgehalten wurden. (Während es sich herumsprach, dass die Kommandos unten in den feinen Fremdenverkehrsorten des Ziller- oder Krimmlertals logierten, mit Sauf- und Sexgelagen.) Noch heikler war es, als zum Teil ja solche Typen dort oben (ohne Familie oder irgendwann Weiblichkeit) – wie auch heute, machen wir uns nichts vor – Alkoholiker waren, die ihre Sucht aber nicht bedienen konnten. Aber wir alle, die Vorposten, hatten Waffen und scharfe Munition!

Man darf nach so vielen Jahren offen sagen: Der zuständige Minister und die oberste Heeresführung hätten hinausgeschmissen gehört, die Hälfte aller Befehlshabenden wäre vor ein Gericht zu stellen gewesen. Und wir, die paar Maturantenbuben in jenen Umtrieben – na ja, wir profitierten quasi fürs harte Leben?

Lustig darf man heute sich wünschen: Wenn jetzt das Militär wieder nicht unheikel an Grenzen platziert wird, dann haben Österreich einschließlich seiner Minister, Generalstäbler, Wachtmeister und so weiter sicher was gelernt? Wird man den Grundwehrdienern im „Grenzschutz“ plausibel machen können, was sie zu tun haben? Hoffentlich!

Der Autor ist Musiker, Autor und Regisseur.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2016)

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