Die kuriosen Botschaften des Donald Trump

Große politische Führer erklären ihren Anhängern die Welt jenseits ihrer unmittelbaren Gruppe – und helfen uns dabei, unsere Identität zu definieren. Auf diesem Gebiet ist Präsidentschaftskandidat Trump bereits gescheitert.

Dass Donald Trump beim Rennen um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat für die Republikanische Partei an der Spitze liegt, hat für Bestürzung gesorgt. Das republikanische Establishment fürchtet, er könne Hillary Clinton, die wahrscheinliche Kandidatin der Demokraten, nicht schlagen. Aber manche Beobachter besorgt mehr, dass Trump ins Weiße Haus einziehen könnte. Einige sehen Trump gar als einen möglichen amerikanischen Mussolini.

Ungeachtet ihrer Probleme unterscheiden sich die heutigen Vereinigten Staaten allerdings deutlich vom Italien des Jahres 1922. Selbst ein Reality-TV-Showstar kann sich nicht über die institutionellen Kontrollmechanismen der Verfassung und das unparteiische Rechtssystem hinwegsetzen. Die wirkliche Gefahr ist nicht, dass Trump als möglicher Präsident tut, was er sagt, sondern ist der Schaden, den er auf dem Weg dorthin anrichtet.

Monnet und Mandela

Spitzenpolitiker werden nicht nur aufgrund der Effektivität ihrer Entscheidungen bewertet, sondern auch aufgrund der Leitsätze, die sie aufstellen und ihren Anhängern vermitteln. Viele Staatsführer erhalten Unterstützung, indem sie an die bestehende Identität und Solidarität ihrer Gruppe appellieren. Große politische Führer aber erklären ihren Anhängern die Welt jenseits ihrer unmittelbaren Gruppe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Deutschland zum dritten Mal innerhalb von 70 Jahren in Frankreich einmarschiert war, entschied der französische Politiker Jean Monnet, Rache gegenüber dem besiegten Deutschland würde nur zu einer weiteren Tragödie führen. Stattdessen stellte er einen Plan für die schrittweise Entwicklung der Institutionen auf, die sich später zur EU entwickelten, in deren Rahmen ein neuer Krieg undenkbar werden sollte.

Oder, um ein weiteres Beispiel großer Führung zu geben: Nelson Mandela hätte sich leicht dafür entscheiden können, seine Gruppe als schwarze Südafrikaner zu definieren und Rache für die Ungerechtigkeit jahrzehntelanger Apartheid und seiner eigenen Gefangenschaft zu suchen. Stattdessen versuchte er unermüdlich, die Identität seiner Anhänger durch Worte und Taten zu erweitern. In einer berühmten Geste trug er bei einem Rugby-Spiel das Trikot der South African Springboks, eines Teams, das zuvor ein Symbol für die Überlegenheit der südafrikanischen Weißen war.

Vergleichen wir Mandelas Bemühungen mit der rigiden Art Robert Mugabes im Nachbarstaat Simbabwe. Im Gegensatz zu Mandela baute Mugabe seine Unterstützerbasis auf Ressentiments auf, die noch aus der Kolonialzeit stammen, und er verteidigt seine Präsidentschaft nun mit Gewalt.

Ein Gefühl der Bedrohung

In den USA, wo die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosenquote mit 4,9 Prozent sehr niedrig ist, fühlen sich viele vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen. Die Schuld für die steigende Ungleichheit der vergangenen Jahrzehnte geben viele nicht der Technologie, sondern Ausländern. Eine bedeutende Minderheit der Bevölkerung fühlt sich nicht nur von populistisch ausgeschlachteten wirtschaftlichen Problemen bedroht, sondern auch durch einen kulturellen Wandel mit den Themen von Rasse, Kultur und ethnischer Zugehörigkeit.

Der nächste Präsident wird die US-Bürger darüber aufklären müssen, wie mit dem auf viele Menschen bedrohlich wirkenden Globalisierungsprozess umgegangen werden kann. Nationale Identitäten sind imaginierte Gemeinschaften in dem Sinn, dass nur wenige Menschen über direkte Erfahrungen mit den anderen Mitgliedern verfügen. In den vergangenen ein oder zwei Jahrhunderten war der Nationalstaat eine imaginierte Gemeinschaft, für die die Menschen bereit waren zu sterben, und die meisten Politiker fühlten sich hauptsächlich ihrer Nation gegenüber verpflichtet. Dies ist unvermeidlich, reicht aber in einer immer stärker globalisierten Welt nicht aus.

Dort gehören viele Menschen zu mehreren imaginierten Gemeinschaften lokaler, regionaler, nationaler und kosmopolitischer Art, die Schnittmengen bilden und durch das Internet sowie günstige Reisemöglichkeiten bestimmt sind. Diasporas sind nun über Nationalgrenzen hinaus miteinander verbunden. Berufsgruppen wie etwa Rechtsanwälte verfügen über transnationale Standards. Und auch Aktivistengruppen von Umweltschützern bis hin zu Terroristen sind über Staatsgrenzen hinaus miteinander verknüpft. Die Staatshoheit ist nicht mehr so absolut, wie sie es einst war.

Kosmopolitische Neigungen

Der frühere US-Präsident Bill Clinton sagte einmal, er bereue es, dass er 1994 nicht angemessen auf den Völkermord in Ruanda reagieren konnte. Hätte er US-Truppen entsenden wollen, wäre er im Kongress auf heftigen Widerstand gestoßen. Gute Politiker spüren heute oft den Konflikt zwischen ihren kosmopolitischen Neigungen und den traditionelleren Verpflichtungen gegenüber ihren Wählern – wie gerade die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Zuge ihrer Flüchtlingspolitik erfahren muss.

In einer Welt, in der die Menschen in erster Linie in nationalen Gemeinschaften organisiert sind, ist ein rein kosmopolitisches Ideal unrealistisch. Dies sehen wir an der verbreiteten Weigerung, Einwanderung zu akzeptieren. Wenn Politiker sagen, weltweit müssten die Einkommen aneinander angeglichen werden, ist dies nicht glaubwürdig. Aber wenn sie sagen, die Armut müsse verringert und den Bedürftigen geholfen werden, können sie damit erzieherisch auf ihre Anhänger einwirken.

Appelle an die Engstirnigkeit

Während die Welt den US-Präsidentschaftskandidaten dabei zusieht, wie sie mit den Themen Protektionismus, Einwanderung, globale Gesundheit, Klimawandel und internationale Zusammenarbeit umgehen, sollten wir uns fragen, an welche Aspekte der amerikanischen Identität sie appellieren. Weiten sie den amerikanischen Identitätssinn so stark aus, wie sie können, oder wenden sie sich nur an die engsten Interessen?

Trumps Vorschlag, Muslimen die Einreise in die USA zu verweigern, und seine Forderungen, Mexiko soll den Bau einer Mauer bezahlen, um die illegale Migration in die USA zu stoppen, wären im Fall seiner Präsidentschaft politisch oder verfassungsrechtlich wohl kaum durchführbar. Allerdings sind viele seiner Vorschläge keine Maßnahmen, die tatsächlich zur Umsetzung bestimmt sind, sondern Parolen, die die engstirnigen Gefühle eines Teils der Bevölkerung ansprechen sollen.

Angesichts seines Mangels an ideologischer Substanz und seiner Vorliebe für die „Kunst der Verhandlung“ wäre Trump trotz seines Narzissmus vielleicht sogar ein pragmatischer Präsident. Aber gute Führungspersönlichkeiten helfen uns dabei, unsere Identität zu definieren. Auf diesem Gebiet ist Trump bereits jetzt gescheitert.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Copyright: Project Syndicate, 2016.


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DER AUTOR



Joseph S. Nye (* 1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwissenschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzender des National Intelligence Council (1993–94) und stellvertretender US-Verteidigungsminister (1994–95).Sein jüngstes Buch: „Is the American Century Over?“ Nye berät US-Außenminister John Kerry in weltpolitischen Fragen und gehörte auch zum Beraterteam von Hillary Clinton. [ Project Syndicate ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2016)

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