Flüchtlingsdasein ist heute ein Langzeitphänomen

Es gilt zu verhindern, dass Flüchtlinge zum Stillstand verdammt sind.

Was haben Sie in den vergangenen 25Jahren so gemacht? Haben Sie jemals von Dadaab gehört? Vor 25 Jahren wurde dieser Ort mitten im Nirgendwo aus dem Boden gestampft, um vorübergehend Flüchtlinge aufzunehmen. Heute, eine Generation später, ist Dadaab noch immer da. Genauso wie seine Einwohner, die Flüchtlinge.

Dadaab ist das größte Flüchtlingslager der Welt. Es ist mittlerweile die drittgrößte Stadt in Kenia und gleichzeitig ein Paradebeispiel für den „Trend“ zu lang anhaltenden Flüchtlingskrisen. Laut UNHCR dauerte eine Flüchtlingskrise im Jahr 1993 durchschnittlich neun Jahre. Zehn Jahre später waren es bereits 17 Jahre.

Mit den Dauerkrisen in Syrien, der Demokratischen Republik Kongo und Somalia ist das Langzeit-Flüchtlingsdasein zu einem eigenen Phänomen geworden. In Dadaab ist nicht nur eine Generation junger Menschen im Exil aufgewachsen, jetzt leben dort auch deren Kinder.

Ohne weitere Anstrengungen seitens der internationalen Gemeinschaft werden auch die Kinder dieser Kinder unter denselben Umständen aufwachsen: Generationen von Menschen, die denken, dass es normal ist, jeden Monat das Essen in kiloweise abgewogenen Rationen zu bekommen.

Die anhaltenden Krisen zwingen Hilfsorganisationen dazu, einige der zentralen Prinzipien von humanitären Einsätzen zu überdenken. Es geht längst nicht mehr nur darum, in den ersten paar Monaten einer Flüchtlingskrise lebensrettende Hilfe in Form von Wasser, Essen und Zelten zur Verfügung zu stellen. Heute muss Jahre vorausgeplant werden.

Strukturen und Perspektiven

Angesichts der Generationen von Menschen, die schon als Flüchtlinge geboren werden und aufwachsen, liegt es an den Hilfsorganisationen, innerhalb der eingeschränkten Welt der Flüchtlingslager Strukturen und Perspektiven zu schaffen. Die nachkommenden Generationen benötigen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine Ausbildung, um außerhalb der Lager über die Runden kommen zu können. Am wichtigsten ist, dass sie trotz vieler Jahre im Exil die Hoffnung nicht verlieren.

Dauerhafte Lösungen

Der 25. Geburtstag eines Flüchtlingslagers ist kein Grund zu feiern – auch, wenn einiges erreicht wurde: Die jungen Mädchen im Camp erhalten heute eine Schulbildung, bei Errichtung des Lagers besuchten noch weniger als fünf Prozent von ihnen eine Schule. Der Anteil an Mädchen in Volksschulen liegt bei fast 50 Prozent. Heute wissen Frauen über ihre Rechte Bescheid und scheuen nicht davor zurück, Probleme anzusprechen. Das spiegelt sich auch in rückläufigen Zahlen bei sexuellen Übergriffen wider.

Eine dauerhafte Lösung für das Flüchtlingslager Dadaab ist dringend notwendig. Dazu würde die freiwillige Rückkehr der somalischen Flüchtlinge gehören, sofern dies möglich ist. Aber man muss realistisch bleiben: Angesichts der düsteren Situation in Somalia benötigen somalische und andere Flüchtlinge weiter einen sicheren Ort, an dem sie bleiben können.

Im Mai findet der Weltgipfel der humanitären Hilfe in Istanbul statt. Den Gipfelteilnehmern sei gesagt, dass wir eine drastische Veränderung in der Art und Weise, wie die Welt mit humanitären Krisen umgeht, brauchen. Außerdem: Wie das Beispiel von Dadaab anschaulich zeigt, müssen Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, sicherstellen, dass diese Arbeitsplätze und Zugang zu Bildung erhalten, damit sie nicht zum Stillstand verdammt sind – über Generationen hinweg.

Dr. Wolfgang Jamann ist Generalsekretär von Care International, einer Hilfsorganisation mit Hauptsitz in Genf. Jamann ist für die Koordination der langfristigen Entwicklungsarbeit des internationalen Netzwerks von Care verantwortlich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2016)

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