Republik im Wandel: Der Proporz hat ausgedient

Die Verwerfungen rund um die Hofburg-Wahl, die
wir gerade erleben, könnten einen Neuaufbruch für das Land zeitigen.

Bis zu diesem Sonntag, den 24. April, waren es nur Umfragen, die erkennen ließen, dass die tragenden politischen Kräfte der Zweiten Republik ausgedient haben. Demnach hätten die Volkspartei und die Sozialdemokratie kaum mehr als 40 Prozent der Wähler hinter sich und die weitaus stärkste Partei wäre die rechte Opposition, wären also die Freiheitlichen. Wie gesagt, das waren Umfragen.
Nun allerdings hat die Hofburg-Wahl erstmals anhand eines realen Wahlergebnisses bewiesen, dass sich die politische Landschaft der Republik entscheidend gewandelt hat. Nicht nur, dass man einem jungen und freundlichen FPÖ-Mann das höchste Staatsamt zutraut und damit zeigt, dass diese bisher ausgegrenzte und stigmatisierte politische Kraft längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Nein, auch weil sich rein quantitativ erweist, dass längst andere politische Kräfte als Rot und Schwarz die breite Mehrheit der Bevölkerung vertreten.
Wenn man nunmehr davon ausgeht, dass das politische System der Zweiten Republik, der rot-schwarze beziehungsweise schwarz-rote Proporz und damit auch immer wieder die alte Große Koalition, ausgedient habe, dann muss man somit den Befund akzeptieren, dass die Zweite Republik als solche ihre konstituierende Basis verloren hat und damit im Grunde aufgehört hat zu bestehen.

Welches System wird kommen?

Aber zu welchem neuen politischen System kann diese Entwicklung führen? Der gescheiterte ÖVP-Kandidat, Andreas Khol, hat in der ORF-„Pressestunde“ angedeutet: Eine Zweierkoalition wird es in Hinkunft wohl nur mehr unter der Führung der Freiheitlichen geben können. Was allerdings nicht bedeutet, dass die ausgediente rot-schwarze Koalition nicht versuchen könnte, mithilfe subsidiärer Kräfte wie der Grünen oder auch der Neos doch noch eine knappe Mehrheit für eine Regierungsbildung zustande zu bringen. Was aber demokratiepolitisch zur völligen Katastrophe führen würde und das Anwachsen der Freiheitlichen bis hin zu einer absoluten Mehrheit nach sich ziehen könnte.
Die dauerhafte Ausgrenzung einer 30-Prozent-Partei aus der Regierungstätigkeit dürfte also auf Dauer kaum möglich sein.
Allfällige Zweier-Regierungskombinationen in der Zukunft erweisen sich bei näherer Analyse aber wohl mehr als nur in eine Richtung möglich. Auch wenn es in der freiheitlichen Tradition liegt, „im Zweifel lieber mit Rot als mit Schwarz“ zu gehen, dürfte eine freiheitlich-sozialdemokratische Koalition nicht wirklich realisierbar sein.
Denn allzu emotional und unvereinbar sind die Positionen der SPÖ-Linken und jener politisch korrekten Zeitgeist-Kreise, die das Umfeld der alten Sozialdemokratie noch immer prägen. Dass es allerdings einflussreiche Kräfte in der FPÖ gibt, die eine freiheitlich-sozialdemokratische Koalition befürworten, steht außer Zweifel. Allein die Vranitzky-Doktrin ist in den vergangenen 20 Jahren allzu oft wiederholt und von großen Teilen der Sozialdemokratie auch wirklich verinnerlicht worden.
Bleibt also die blau-schwarze Variante, die es unter Wolfgang Schüssel schon einmal gab und die mit dem „Inhalieren“ weiter Teile der freiheitlichen Wählerschaft endete. Inzwischen aber scheint sie wohl nur mehr unter umgekehrten Vorzeichen – nämlich unter freiheitlicher Kanzlerschaft – möglich. Sebastian Kurz und Kollegen müssten wohl oder übel – glaubt man den Umfragen – den Juniorpartner geben. Einen inhaltlichen Paradigmenwechsel würde sie wohl nicht nach sich ziehen, da diese schon jetzt in weiten Bereichen vorweggenommen zu werden scheint.

Keine Angst vor EU-Sanktionen

Zentrale freiheitliche Forderungen wie beispielsweise die Beschränkung sozialer Transferzahlungen auf Staatsbürger und eine restriktive Zuwanderungspolitik bis hin zur Minuszuwanderung – solche Forderungen werden jetzt von der rot-schwarzen Regierung in ihrer Verzweiflung vorweggenommen.
Ebenso wie die Auflehnung gegen die eine oder andere allzu zentralistische Lenkungsmaßnahme aus Brüssel, der sich bereits jetzt Bundeskanzler Werner Faymann mit geringer Glaubwürdigkeit – allerdings mit Applaus vom Boulevard – entgegenzustellen scheint.
EU-Sanktionen wie im Jahre 2000 brauchte Österreich in einem solchen Fall heute nicht mehr zu fürchten. Nationalkonservative Regierungen wie in Polen, in Ungarn und in Kroatien, aber auch linkspopulistische wie in der Slowakei würden dem gewiss ihre Zustimmung verweigern. Und die Solidaritätswelle, die jene immer stärker werdenden als „rechtspopulistisch“ abgestempelten Kräfte erfassen würde, die von Frankreich über Deutschland bis hin nach Italien zunehmend anwachsen – diese Solidaritätswelle hätte es auch in sich. Der italienische Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, Front-National-Präsidentin Marine Le Pen und UKIP-Chef Nigel Farage würden sich ebenso wie Frauke Petry in einem von Strache geführten Kanzleramt die Türklinke in die Hand geben.

Brüchige Sozialpartnerschaft

Österreich wäre also in einer freiheitlich dominierten Bundesregierung längst kein europäischer Sonderfall mehr. Sehr wohl könnte eine solche Konstellation allerdings zu einer Verschärfung des innenpolitischen Klimas führen.
Die seinerzeitigen Donnerstagsdemonstrationen gegen die Schüssel-Haider-Regierung könnten fröhliche Urständ feiern, wenn die Grünen in der linken Reichshälfte zur dominanten Kraft würden. Wie weit das zu sozialen Spannungen führen würde, ist wohl fraglich.
Die herkömmliche Sozialpartnerschaft würde aber durch die neuen Links-rechts-Antagonismen zweifellos leiden. Ihre genuine Verbindung mit dem rot-schwarzen Proporzsystem würde zwangsläufig dazu führen, dass sie ihre bestimmende Funktion für die politische Landschaft in der Republik verlöre. Damit stünde die freiheitliche Sozialpolitik allerdings vor der Nagelprobe, wie weit sie in der Lage wäre, hier Ersatz zu schaffen.
Was die metapolitische Ebene und die Identität einer solcherart veränderten Republik beträfe, so müssten es keineswegs nur Rückgriffe auf nationalkonservative und patriotische Versatzstücke sein, die hier dominieren würden.

Postmoderne Identität

Eine sich solcherart erneuernde Republik könnte vielmehr eine Art postmoderne Identität entwickeln – wie etwa die kleineren mittel- und osteuropäischen Nationen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nach 1989: In Form der Bewahrung und Wiederentdeckung der eigenen, der kleinräumigen Heimatbereiche in Verbindung mit weltoffener Vernetzung und Hightech-Ökonomie. Das kleine Wirtschaftswunder der baltischen Staaten, das bayrische Motto „Laptop und Lederhose“, die Schweizer direkte Demokratie – solche Modelle könnten hier Platz greifen.
Nach der geradezu sklerotischen Politik der ausgehenden Ära der Zweiten Republik könnten die Verwerfungen rund um die Hofburg-Wahl, die wir gegenwärtig erleben, also auch einen Neuaufbruch für das Land zeitigen. Bei einigem Optimismus . . .

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Andreas Mölzer (geb. 1952) studierte Rechtswissenschaften, Geschichte, Volkskunde in Graz. Er wird dem deutschnationalen Flügel der FPÖ zugerechnet, er selbst bezeichnet sich als „nationalliberalen Kulturdeutschen“. Von 2004 bis 2014 war er FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Mölzer ist Herausgeber der Wochenzeitung „Zur Zeit“.

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