Wie Donald Trump die USA schwächen würde

Dem wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner liegt wenig an Allianzen: eine fatale Fehleinschätzung.

Donald Trump, der wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, äußerte sich zutiefst skeptisch hinsichtlich des Werts von Allianzen mit anderen Staaten, die die USA eingegangen sind. Dabei handelt es sich um eine Weltsicht des 19. Jahrhunderts.

Damals sind die Vereinigten Staaten dem Rat George Washingtons gefolgt, „Bündnisse, in denen man sich verheddern kann“, zu vermeiden. Man hielt sich an die Monroe-Doktrin, die sich auf amerikanische Interessen in der westlichen Hemisphäre konzentrierte. Im globalen Machtgleichgewicht des 19. Jahrhunderts spielten die USA deshalb eine untergeordnete Rolle.

Das änderte sich grundlegend mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, als Woodrow Wilson mit dieser Tradition brach. Überdies schlug er die Bildung eines Völkerbunds vor, um die kollektive Sicherheit auf globaler Basis zu organisieren. Aber nachdem der Senat 1919 eine Mitgliedschaft der USA im Völkerbund abgelehnt hatte, kehrte man zum früheren Zustand zurück. Obwohl man es mittlerweile zu einem bedeutenden globalen Akteur gebracht hatte, präsentierten sich die USA durch und durch isolationistisch. Das Fehlen von Bündnissen in den 1930er-Jahren ebnete den Weg für ein desaströses Jahrzehnt, das von wirtschaftlicher Depression, Völkermord und einem weiteren Weltkrieg geprägt war.

„America First“-Stimmung

Unheilvollerweise liefert Trumps detaillierteste außenpolitische Rede Hinweise darauf, dass er sich genau von dieser Phase der Isolation und einer „America First“-Stimmung leiten lässt. Dieses Gefühl war in der Politik der USA immer präsent, aber seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es nicht mehr mehrheitsfähig – und das aus gutem Grund: Es behindert nämlich Frieden und Wohlstand im eigenen Land und anderswo, statt beides voranzubringen.

Die Entscheidungen von Präsident Harry Truman, die nach 1945 zur Bildung dauerhafter Allianzen und zum Aufbau militärischer Präsenz im Ausland führten, markierten die Abkehr vom Isolationismus und den Beginn des „amerikanischen Jahrhunderts“ in der Weltpolitik. 1948 investierten die Vereinigten Staaten massiv in den Marshall-Plan, 1949 gründete man die Nato, und 1950 führten die USA eine UN-Koalition an, die in Korea kämpfte. Im Jahr 1960 unterzeichnete Präsident Dwight Eisenhower ein Sicherheitsabkommen mit Japan. Und bis zum heutigen Tag sind US-Truppen in Europa, Japan und Korea stationiert.

Obwohl es in den USA zu bitteren Auseinandersetzungen über verheerende Interventionen in Ländern wie Vietnam und dem Irak kam, waren sich die Parteien über den Wert von Bündnissen stets einig. Und das nicht nur unter jenen, die über Außenpolitik entscheiden oder nachdenken. Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der US-Bürger die Nato und das Bündnis mit Japan unterstützen. Dennoch stellt ein wichtiger US-Präsidentschaftskandidat diesen Konsens zum ersten Mal seit 70 Jahren infrage.

Der Wert von Bündnissen

Allianzen stärken nicht nur die Macht der USA, sondern sie sorgen auch für die Aufrechterhaltung geopolitischer Stabilität – etwa durch Eindämmung der Weiterverbreitung von Kernwaffen. Obwohl sich US-Präsidenten und Verteidigungsminister immer wieder über die geringen Verteidigungsausgaben ihrer Bündnispartner beschwerten, war ihnen immer klar, dass Allianzen als Bekenntnis zur Stabilisierung zu betrachten sind.

Die modernen Bündnisse haben für die Aufrechterhaltung einer relativ vorhersehbaren internationalen Ordnung gesorgt. Manchmal – wie etwa im Fall Japans – macht die Unterstützung des Gastlands die Stationierung der Truppen in Übersee sogar noch billiger als im eigenen Land. Dennoch preist Trump den Vorteil der Unberechenbarkeit – eine potenziell nützliche Taktik im Umgang mit Feinden, aber ein verhängnisvoller Ansatz, wenn es darum geht, Freunden Unterstützung zuzusichern.

Die Amerikaner beschweren sich häufig über Trittbrettfahrer, ohne zu erkennen, dass die USA den Bus lenken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Herausforderer – etwa Europa, Russland, Indien, Brasilien oder China – die USA in den kommenden Jahrzehnten überholt und das Steuer übernimmt. Aber wahrscheinlich ist diese Entwicklung auch nicht.

Ein Merkmal, das laut Einschätzung des britischen Strategen Lawrence Freedman die USA von den dominanten Großmächten der Vergangenheit unterscheidet, ist die Tatsache, dass die „Macht der Vereinigten Staaten nicht auf Kolonien, sondern auf Bündnissen beruht“. Allianzen sind als Aktiva zu bewerten; Kolonien als Passiva.

Unvermeidlicher Niedergang?

Ein Niedergang der USA könnte gefährliche Konsequenzen haben, wenn dadurch Länder wie Russland zu politischen Abenteuern ermutigt würden, China noch auftrumpfender gegenüber seinen Nachbarn agierte oder die USA aus Angst überreagieren würden. Die USA haben zahlreiche Probleme, aber sie befinden sich nicht im unvermeidlichen Niedergang, und sie werden in absehbarer Zukunft wahrscheinlich mächtiger bleiben als jeder andere Einzelstaat. Das wahre Problem Amerikas besteht nicht darin, dass es von China oder einem anderen Konkurrenten überholt werden, sondern dass ein Anwachsen der Machtressourcen neuer staatlicher oder nicht staatlicher Akteure die Welt noch schwerer regierbar machen wird. Die wahre Herausforderung liegt in der Entropie – der Unfähigkeit, Aufgaben zu erledigen.

Die Schwächung der Bündnisse der USA – das wahrscheinliche Ergebnis der Politik Trumps – ist wohl kaum der Weg, um „Amerika wieder groß zu machen“. Die USA werden mit einer zunehmenden Zahl neuer grenzüberschreitender Probleme konfrontiert werden, deren Bewältigung die Machtausübung mit anderen ebenso erfordert wie über andere. Und in einer zunehmend komplexen Welt sind die am besten vernetzten Länder auch die mächtigsten.

Rolle der USA bleibt bedeutend

Die USA haben etwa 60 Vertragsverbündete, China verfügt lediglich über einige wenige. Das britische Magazin „Economist“ schätzt, dass von den 150 größten Ländern der Welt beinahe 100 in Richtung USA tendieren, während sich 21 gegen sie wenden. Die USA sind nach wie vor von zentraler Bedeutung für das globale Machtgleichgewicht und die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter.

In den Bereichen Militär, Wirtschaft und weiche Macht wird die amerikanische Vorherrschaft allerdings anders aussehen, als dies einst der Fall war. Der Anteil der USA an der Weltwirtschaft wird sinken, und ihre Fähigkeit, Einfluss auszuüben und Maßnahmen zu organisieren, wird zunehmend eingeschränkt sein. Amerikas Fähigkeit, die Glaubwürdigkeit seiner Allianzen zu erhalten sowie neue Netzwerke zu etablieren, wird mehr denn je von zentraler Bedeutung für den weltweiten Erfolg sein.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.
Copyright: Project Syndicate, 2016.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Joseph S. Nye (geboren 1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwissenschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzender des National Intelligence Council (1993–94) und stellvertretender US-Verteidigungsminister (1994–95). Sein jüngstes Buch: „Is the American Century Over?“ Zuletzt war er Ko-Vorsitzender einer Diskussionsrunde der Aspen Strategy Group zum Thema Islamischer Staat.

(Print-Ausgabe, 12.05.2016)

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