Österreich braucht keinen „kalten Bürgerkrieg“

Zentrale Aufgabe des neuen Bundespräsidenten muss es sein, einen Prozess der nationalen Versöhnung einzuleiten.

Der Wahlkampf um das höchste Amt im Staate hat die Gräben zwischen der politisch-korrekten Klasse der Meinungsführer, die sich voll im Zeitgeist wähnen, auf der einen Seite und dem schweigenden Teil der Bevölkerung auf der anderen Seite brutal aufgerissen.

Erstere, vertreten durch Repräsentanten aller etablierten Parteien von SPÖ, Grünen bis hin zur ÖVP und den Neos sowie von nahezu ausnahmslos allen Kulturschaffenden und auch den Repräsentanten der staatsnahen Wirtschaft ebenso wie der Wissenschaft – sie konnten für ihren Kandidaten bekanntlich 50 Prozent erlangen.

Der andere Teil der Österreicher hingegen, der in den Medien in den vergangenen Wochen des Wahlkampfs kaum zu hören war und der im öffentlichen Diskurs nur am Rande vertreten war – er hat mit dem freiheitlichen Kandidaten, Norbert Hofer, ebenso 50 Prozent erreicht. Zwischen diesen beiden Bereichen gibt es kaum eine wirkliche Gesprächsbasis. Vielmehr sind die Antipathien bis hin zur offenen Verachtung und zum Hass tief gehend.

Motiviert von tiefem Groll

Die Meinungsführer aus Politik, Medien, Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft haben also nahezu ausnahmslos für den grünen Kandidaten plädiert und durchblicken lassen, dass all jene, die den Gegner Van der Bellens, also Norbert Hofer, unterstützen, verantwortlich wären für einen neuen autoritären, antidemokratischen Kurs in der österreichischen Politik, verantwortlich für die Isolierung des Landes und den darauffolgenden wirtschaftlichen Niedergang.

Pflichtschuldigst ließ man zwar wissen, dass man ja eh nicht alle Hofer-Wähler für Nazis und Faschisten halte. Aber sie müssten halt schon wissen, welches Unheil sie mit ihrer Wählerstimme anrichten würden.

Die andere Hälfte der Wählerschaft hingegen, die sich für Hofer entschied, dürfte größtenteils von tiefem Groll motiviert gewesen sein – insbesondere auch über die repressiven Versuche, sie zu einem anderen Wahlverhalten zu bewegen. Mit volkspädagogischem Impetus habe man sie, die „kleinen Leute“, die „Veränderungsverlierer“, die „Bildungsfernen“, die „dumpfen Wutbürger“, die nur die Sprache des Stammtisches verstünden und die auf dumpfe, freiheitliche Hetze hereingefallen wären, geradezu zwingen wollen, ihrer Vorliebe für den jungen freiheitlichen Kandidaten abzuschwören.

Man hat also den Eindruck vermittelt, man halte diese Bevölkerungsschicht demokratiepolitisch für unmündig und unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen. Gerade das aber ist der gesellschaftspolitische Humus, auf dem Hass wächst. Ein Hass, der bisher eher auf die Ränder der Gesellschaft – auf den linksextremen, anarchistischen Rand, auf den Schwarzen Blocks also, oder auf der rechten Seite, in quantitativ viel geringerem Ausmaß, auf irgendwelche Skinhead-Grüppchen – beschränkt blieb.

Dieser Hass wandert im Zuge eines polarisierenden Wahlkampfs, wie wir ihn erlebt haben, nach und nach in die Mitte der Gesellschaft. Und er spaltet das Land in einem Ausmaß, das nach und nach die Atmosphäre eines „kalten Bürgerkriegs“ annehmen könnte.

Eine zentrale Aufgabe des neuen Bundespräsidenten müsste es also sein, einen Prozess der nationalen Versöhnung einzuleiten. Und dazu wird es nicht nur notwendig sein, die beiden konkurrierenden Lager aus der Präsidentschaftswahl zu einem fairen Dialog zu bewegen.

Schluss mit der Ausgrenzung!

Es wird vielmehr darum gehen, jene ausgegrenzte und stigmatisierte politische Bewegung, die bisher in Fundamental-Opposition gegenüber dem politischen Establishment verharrte, allerdings aufgrund der großen Probleme unser Zeit immer stärker wurde, endlich zur Gänze in den politischen Diskurs einzubeziehen und sie als gestaltenden demokratischen Faktor zu akzeptieren.

Eine Versöhnung ist also nur möglich, wenn man der Strache-FPÖ demokratische Legitimation zuerkennt und sie nicht ständig unter Generalverdacht stellt, eine Gefahr für die österreichische Demokratie zu sein. Kooperationsverbote, wie es sie in der SPÖ mittels Parteitagsbeschlusses gibt, und die allzu lose Verwendung der Faschismuskeule gegen missliebige politische Konkurrenten sind naturgemäß Hindernisse für so einen Versöhnungsprozess.

Auch das Gerede von einer Orbánisierung oder Putinisierung Österreichs durch den freiheitlichen Erfolg ist nur eine andere Variante der Faschismuskeule. Ob die SPÖ unter Christian Kern also in der Lage sein wird, die alte Vranitzky-Doktrin der Ausgrenzung der Freiheitlichen zu überwinden, bleibt abzuwarten.

Parteitagsbeschluss reicht nicht

Ausgeschlossen ist eine solche Kehrtwende aber nicht, da dies aus strategischen Erwägungen für die Sozialdemokratie notwendig sein könnte, hätte sie doch dann gegenüber der ÖVP eine weitere Option auf Kooperation und weitere Koalitionsvarianten für eine allfällige Bundesregierung.

Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob die politisch-korrekten Meinungsführer in der Lage sein würden, um die politisch-gesellschaftlichen Haltungen jenes Bevölkerungsteils zu akzeptieren, der für Hofer votierte.

Für eine Partei reicht ein Parteitagsbeschluss, für eine gesellschaftliche Grundstimmung beziehungsweise die Kluft, die zwischen den beiden großen skizzierten gesellschaftlichen Gruppen herrscht, langt dies längst nicht. Hier wäre ein Prozess des Dialogs und des Aufeinander-Zugehens einzuleiten, der wohl Jahre und große Anstrengungen benötigen würde.

Der vom österreichischen Philosophen Friedrich Heer postulierte Dialog unter Gegnern, das Gespräch unter Feinden, wäre dazu ein geeigneter Ansatz. Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, welche Repräsentanten dieses schweigenden Bevölkerungsteils jenseits der Parteipolitik es gäbe und wie die zeitgeistigen Wortführer ihre Arroganz gegenüber derselben überwinden könnten.

Verinnerlichte Reflexe

Eine politisch-korrekte Kunstszene, die sich gegenseitig zum Propagandisten der Willkommenskultur hochgejubelt hat, der mediale Mainstream, assistiert von den Parteisekretariaten der etablierten politischen Parteien – sie alle wären freiwillig wohl weder in der Lage noch willens, diesen Dialog mit der anderen Seite aufzunehmen.

Der bisher geübte Reflex, die Gegenseite als latent faschistoid, politisch unwissend, verführt und primitiv abzutun, ist in diesen Kreisen längst so verinnerlicht, dass er nicht so leicht überwunden werden könnte.

Dennoch wäre es eine Aufgabe des neuen Bundespräsidenten, einen solchen Dialog einzuleiten. Der „kalte Bürgerkrieg“, der zwischen beiden Gruppierungen auszubrechen droht, sollte zeitgerecht beendet werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Andreas Mölzer (geb. 1952) studierte Rechtswissenschaften, Geschichte, Volkskunde in Graz. Er wird dem deutschnationalen Flügel der FPÖ zugerechnet, er selbst bezeichnet sich als „nationalliberalen Kulturdeutschen“. Von 2004 bis 2014 war er FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Mölzer ist Herausgeber der Wochenzeitung „Zur Zeit“.

(Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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