Der Präsident, die Staatsoper und ich

Ach, Staatsmänner, ach Präsidenten . . . Jetzt kommt wieder einer. Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?

Vor ein paar Jahren musste ich mich einmal in der Früh ins Auto setzen, drei Stunden oder 330 Kilometer von Klagenfurt nach Wien fahren, den Wagen in die Operngarage stellen, zum Lobkowitzplatz gehen, in der ehemaligen Wohnung von Kurt Waldheim ein Foto von mir machen lassen – und dann sofort wieder zurück. Honorar gab es keines, bloß ein Strafmandat wegen Schnellfahrens auf der Pack.

Jedenfalls waren die Waldheims zuletzt Nachbarn der Redaktion der katholischen Wochenzeitung gewesen. Dann war der Skandalaltbundespräsident hochbetagt gestorben, danach hatte auch seine Witwe hier nichts mehr gehalten. Sie zog auf das Land und verkaufte die Wohnung an die Wochenzeitung, die sie für neue Redaktionsräumlichkeiten adaptierte.
Die Waldheim-Wohnung war leer geräumt, wurde gerade frisch ausgemalt, durch das Turmfenster hatte man aber einen prächtigen Ausblick auf die Staatsoper.

Gerade einmal 22 Jahre war es her, dass Peter Handke Kurt Waldheim im „Profil“ einen „Lemuren, einen Wiedergänger aus Transsylvanien“ genannt hatte. Ich sehe mich noch, wie ich als Student dieses Heft am Klagenfurter Bahnhofskiosk gekauft und den Handke'schen Furor noch in der Bahnhofshalle hochachtungsvoll verschlungen habe.

„Wann geht dein lieber Zug?“

So möchte ich auch einmal zitierbar wüten können, dachte ich. Gerade, dass Handke Waldheim nicht gefragt hatte: „Kurt, wann geht denn dein lieber Zug?“

Handke hat aber nichts daran geändert, dass die Österreicher diesen transsylvanischen Wiedergänger zum Bundespräsidenten gewählt haben, der dann wegen sich selbst eine Historikerkommission einberufen musste und sechs Jahre lang nichts als Zores wegen sich selbst hatte. Nirgendwo in der Welt wollte man den „Watchlistkurti“ haben. Aber zu Österreich hatte er eigentlich ganz gut gepasst.
Bloß zwei Jahrzehnte später sind sie alle tot: Waldheim selbst, Ronald Reagan, in dessen Ära Waldheim auf die Watchlist gesetzt worden ist, der ÖVP-Generalsekretär Michael Graf, der gemeint hat, solange Waldheim „nicht sechs Juden persönlich erwürgt habe, bekomme er kein Problem“, Waldheims Vorgänger Rudolf Kirchschläger, Waldheims Nachfolger Thomas Klestil, Fred Sinowatz, der Waldheim ein Bein stellen wollte, dann aber selbst über Waldheim gestolpert ist.

Fotosession im „Denkersalon“

Es werden Bundeskanzler über Bundespräsidentenkandidaten stolpern, und wir werden nicht mehr sein . . . Sogar die Klagenfurter Bahnhofshalle ist mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit umgebaut und modernisiert worden.

Bloß zwei Jahrzehnte später, und ein italienischer Starfotograf bittet mich in der leeren Waldheim-Wohnung in das Turmzimmer, in den „Denkersalon“ mit den großen Fenstern und der Aussicht auf Albertina und Staatsoper – übrigens auch auf das Hrdlicka-Mahnmal mit dem asphaltputzenden Juden aus Stein (Hrdlicka ist auch gestorben).

Die Staatsoper – das ist der richtige Hintergrund für ein Porträtfoto. Vor der Staatsoper sollte ich meine Stirn runzeln, und neben dem Porträtfoto würde dann ein Satz stehen, der mit den Worten beginnt: „Egyd Gstättner liest die katholische Wochenzeitung, weil . . .“ (Warum ich sie gelesen haben soll, habe ich vergessen.)

Mein Porträtfoto vor der Staatsoper erschien – wie für mein Leben nicht untypisch – übrigens in der Ausgabe der „Kleinen Zeitung“ vom 11. Oktober 2008, ging an diesem Tag aber völlig unter. Ach, Staatsmänner, Präsidenten . . . Jetzt kommt wieder einer. Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?

Egyd Gstättner (* 1962) studierte Germanistik und Philosophie. Er ist Schriftsteller und Essayist. Sein neuester Roman: „Am Fuß des Wörthersees. Neue Nachrichten aus der Provinz“ (Picus Verlag)

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)

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