Lauter Populisten! Wie man politischen Diskurs abwürgt

2,2 Millionen Österreicher als verführte Opfer? Geht's noch arroganter?

Es scheint Einigkeit zu herrschen: Die Populisten Europas sind auf dem Vormarsch, sie bedrohen Stabilität und Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie, und sie haben in Österreich soeben eine knappe Niederlage einstecken müssen. Doch was Populismus, das neue Schreckgespenst, wirklich ist, kann niemand sagen.

Nur so viel scheint klar zu sein: Die Scharen, die den Parolen der Populisten nachlaufen, müssen aufgeklärt und ihre Ängste ernst genommen werden. Die wenig gebildeten Männer, die Verlierertypen voller Ressentiments, denen es an intellektuellem Vermögen fehlt, müssen von ihrem Irrweg abgebracht und wieder für die zivilisierte Mehrheit gewonnen werden.

Als ob es bloß um Unbildung oder unbeherrschte Wut ginge, und nicht um weltanschauliche Gegensätze! Merkt denn niemand, dass der arrogante Vorwurf des Populismus 2,2 Millionen Österreicher zu unmündigen Opfern einer Vorurteile schürenden Propaganda erklärt? Die Qualifizierung des politischen Gegners als populistisch ist ein probates Mittel zu dessen Bekämpfung; es befreit von der Notwendigkeit der argumentativen Auseinandersetzung. Der andere wird moralisch diskreditiert, als Demagoge stigmatisiert, seine Forderungen bedürfen keiner inhaltlichen Prüfung mehr.

Fairer Wettbewerb der Ideen

Könnte es aber nicht sein, dass die als populistisch verteufelten Parteien Antworten auf brennende Fragen anbieten, die allein zu stellen vielen schon als ehrenrührig gilt? Demokratie heißt zu akzeptieren, dass die Mehrheit Entscheidungen trifft und Ziele verfolgt, die vielen missfallen. Voraussetzung ist der faire Wettbewerb der Ideen. Man sollte ihn fördern und nicht das Wahlvolk für unreif erklären, weil es neue Wege sucht. Oder vielleicht doch nur alte? Immerhin vertreten viele sogenannte rechtspopulistische Parteien Positionen, die bis vor wenigen Jahren zentrale Anliegen von Konservativen waren.

Es ist frustrierend, dass die Medien bei diesem Spiel des moralischen Verurteilens mitspielen und sich so zu Handlangern eines politischen Stils machen, der es nicht der Mühe wert findet, auf der Sachebene zu streiten.

Nachhaltige Verschiebungen

Der Vorwurf des Populismus zielt jedenfalls ins Leere. Denn populistische Techniken kommen in allen Parteien zum Einsatz. Vollmundige Ankündigungen und utopische Heilsversprechen sind nicht minder populistisch als Diffamierungen und eine Rhetorik der Apokalypse, die den Untergang prophezeit. Die politische Auseinandersetzung ist nicht wie ein akademischer Disput zu führen. Markige Sprüche, pointierte Formulierungen, verkürzte Darstellungen gehören nun einmal zum Alltag einer Mediendemokratie. Und genau das erwarten die Wähler auch.

Nicht die Stichhaltigkeit der Argumente und nicht die von Kandidaten vertretenen Werte entscheiden Wahlen, sondern Stimmungen und die Hoffnung auf eine bessere persönliche Zukunft.

Das allgemeine Wahlrecht setzt voraus, dass die Politik breite Schichten erreicht. Komplexität muss daher auf Schlagwörter reduziert, die Masse mit Versprechungen bei Laune gehalten werden. Dass der Ton derzeit schriller wird, ist Ausdruck einer Epoche, in der nachhaltige Verschiebungen im Machtgefüge bevorstehen.

Trotz allem wäre die sachliche Kontroverse über konkrete Inhalte wünschenswert. Doch diese ist mühsam und in Zeiten oberflächlichen Medienkonsums nur schwer vermittelbar. Ein erster Schritt wäre getan, würde man darauf verzichten, politische Akteure taxfrei als Populisten abzustempeln.

Dr. Tomas Kubelik (*1976) ist Gymnasiallehrer für die Fächer Mathematik und Deutsch. 2014 ist sein Buch „Genug gegendert!“ (Projekte-Verlag Jena) erschienen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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