Darf der 8. Mai ein Tag der Freude sein?

Die Kritik von Karl Acham an dem Gedenktag ist einseitig und hat aufschlussreiche Leerstellen.

Seit vier Jahren wird das Kriegsende mit dem Fest der Freude am Heldenplatz gefeiert. In den Jahren davor hatten Burschenschaften am 8. Mai hier der Wehrmachtssoldaten gedacht. Der Soziologe Karl Acham kritisiert in einem „Presse“-Gastkommentar die „als Bürgerpflicht oktroyierte Freude“ über das Kriegsende und darüber hinaus die österreichische Geschichtspolitik insgesamt. Von „Einseitigkeit“ und „bizarren Verallgemeinerungen“ der „offiziellen Gedenkpolitik“ ist die Rede.

Einseitig ist Achams Kritik: Der Vorwurf, NR-Präsidentin Bures habe in ihrer Rede im Parlament Worte der Trauer für die Opfer des NS-Regimes vermissen lassen, übersieht offenkundig den Passus „Rund um diesen Tag verneigen wir uns im Parlament jedes Jahr vor den Opfern und halten die Erinnerung an sie hoch“. Acham fordert Trauer um die Millionen Ermordeten ein, zugleich kritisiert er jedoch die „offizielle Geschichtspolitik“.

Aber gerade diese Geschichtspolitik steht seit der Waldheimdebatte 1986 im Zeichen des Gedenkens an die Opfer der Verfolgung. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa und darüber hinaus ist der „Zivilisationsbruch Auschwitz“ am Ende des 20. Jahrhunderts in das Zentrum der Erinnerungskultur gerückt. Der 1998 gegründeten IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) gehören mittlerweile 31 Staaten an.

Die eigentliche Stoßrichtung von Achams Philippika gegen die vorgebliche Einseitigkeit der Geschichtspolitik liegt jedoch in der Forderung, Soldaten und Kriegsgefangene, Vertriebene, Opfer des Bombenkriegs, hier als „terror bombing“ bezeichnet, in das Gedenken einzubeziehen. Allerdings: Diese Gruppen waren und sind nicht aus der Erinnerung ausgeschlossen – das zeigt sich an den Kriegerdenkmälern in praktisch jedem Dorf. Nach 1945 waren diese Denkmäler nicht allein der Trauer um Angehörige gewidmet. Die gefallenen Wehrmachtssoldaten wurden als „Helden“ und „Verteidiger der Heimat“ gegen „Feinde“ aus dem „Osten“ instrumentalisiert. Erst die Waldheimdebatte machte den Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis der Zweiten Republik und den gegenläufigen Sinnstiftungen des Gefallenengedenkens offenkundig. Private Trauer, lokales Gedenken sind auch heute selbstverständlicher Teil der kulturellen Praxis. Das historische Bewusstsein der Republik bezieht sich aber zu Recht auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Opfer der Verfolgung.

Aufschlussreiche Leerstelle

Die Opfer-Gruppen, für die Acham eintritt, haben eine aufschlussreiche Leerstelle: die Soldaten der alliierten Armeen, die das NS-Regime in einem sechsjährigen Krieg besiegt und Europa befreit haben, kommen nicht vor, vielmehr: Sie werden indirekt als Täter präsentiert. Kriegsende bedeutet Vergewaltigungen und „terror bombing“ – das Wort Befreiung wird mit 1945 nicht assoziiert.

Vor wenigen Wochen hat Verteidigungsminister Doskozil der amerikanischen Botschafterin Alexa Wesner ein Gedenkbuch für 1475 amerikanische und 133 britische Flieger übergeben, die auf dem Gebiet des heutigen Österreich ihr Leben gelassen haben. Etliche der im Jargon der NS-Propaganda als „Terrorflieger“ Bezeichneten fielen unmittelbar nach dem Fallschirmabsprung Lynchmorden zum Opfer. 70 US-Flieger wurden nachweislich ermordet, die Dunkelziffer ist weitaus höher – 194 Amerikaner und neun Briten gelten bis heute als vermisst. Dieses Gedenken ist ein wichtiger erster Schritt, dem weitere folgen sollten, denn die Erinnerung an die Gefallenen der alliierten Armeen, die Österreich befreit haben, ist nach wie vor kaum präsent.

Heidemarie Uhl ist Historikerin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2016)

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