Hinein ins selbstbestimmte Leben!

Statt zu diskutieren, was Mindestsicherung können muss, gibt es Polit-Hickhack.

Es ist gar nicht so lang her, da wurden Menschen in prekären Lebenslagen zwischen Bregenz und Eisenstadt allein nach Gutdünken ihrer Landeskaiser unterstützt. Es gab keine richtige Krankenversicherung und in der Regel einen Regress der Sozialhilfe für Angehörige. Zumindest die gröbsten Unzulänglichkeiten in der sozialen Absicherung wurden 2010 mit Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) abgestellt.

Nun haben wir im Zuge der Verhandlungen für eine neue 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern die Chance, die Mindestsicherung so weit zu reformieren, dass sie künftig mehr kann: Menschen besser vor Armut zu schützen und ihnen Chancen zur Integration in die Arbeitswelt zu bieten.

Und was passiert? Zuständige Politiker diskutieren, ob gerade einmal 988 Euro im Monat für eine Alleinerzieherin mit Kind, zwölfmal im Jahr, zu viel sind oder ob das zweite und dritte Kind gleich viel wert sein sollen.

Die Relationen scheinen verloren gegangen zu sein: 2014 kostete die BMS 0,77 Prozent der Sozialausgaben. Über zu hohe Kosten zu sprechen ist somit Themenverfehlung.

Kaum Chancen

Etwa 60 Prozent der BMS-Bezieher sind Kinder, Menschen mit Behinderungen, Kranke und Menschen im Pensionsalter. Menschen also, die eines ganz sicher nicht können: arbeiten. Von den verbleibenden 40 Prozent hat die Mehrheit keine Berufsausbildung und kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Der Schweizer Kanton Vaud zeigt vor, wie Menschen beruflich und sozial integriert werden können: mit Ausbildung. 61 Prozent der Absolventen des Programms Forjad haben heute einen stabilen Job. In Österreich aber gibt es keine BMS für Menschen in Ausbildung. Und einige Bundesländer wehren sich mit Händen und Füßen gegen eine Verpflichtung, mit dem Arbeitsmarkt Service (AMS) bei der Inklusion von Menschen in Notlagen zusammenzuarbeiten.

Stattdessen gibt es Polit-Hickhack. Die rot-grüne Koalition in Wien einigte sich kürzlich auf ein Projekt auf Basis der Erfahrungen aus Vaud: Back to the Future. Über den ersten Umsetzungsschritt wurde kürzlich abgestimmt. Die Gegenstimmen von ÖVP und FPÖ zeigen, wie verfahren die Debatte bei der BMS ist.

Viele weitere Probleme

Doch Ausbildung allein ist nicht alles: Etwa fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung befinden sich in manifester Armut. Zur fehlenden Ausbildung gesellen sich zahlreiche andere Probleme: gesundheitliche und familiäre Probleme, Betreuungsverpflichtungen, Pflegebedarf, Schulden. Einige wenige Bundesländer bemühen sich, zumindest manche dieser Problemlagen abzufangen. Die Mehrheit der Bundesländer verlässt sich jedoch darauf, dass BMS-Bezieher vom AMS unterstützt werden. Für viele dieser Probleme hält sich das AMS aber einfach nicht für zuständig.

Der Knoten liegt also nicht in den Kosten, sondern in der fehlenden institutionenübergreifenden Kooperation und in endlosen Neiddebatten mit haarsträubenden Rechenbeispielen.

Ziel muss es doch sein, Menschen aus der Mindestsicherung hinein in ein selbstbestimmtes Leben zu bringen. Der Schweizer Kanton Vaud zeigt es erfolgreich vor, wie man Menschen neue Chancen und Perspektiven eröffnet. Das kostet etwas. Aber es bringt auch etwas: mehr Lebenschancen, mehr Gleichheit in der Gesellschaft, mittel- und langfristige Einsparungen – und vor allem ein Mehr an gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Die Autorin ist Abgeordnete zum Nationalrat und Sprecherin der Grünen für Soziales und Familie.

E-Mails an: obfuscationcom" target="_blank" rel="">debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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