Geburtstagstorte ohne Feile

Über Natascha Kampusch wird in den Medien viel spekuliert. Etwa dass sie es eh ganz gut hatte. Leider kommt die Propaganda an.

Ganz bewusst titelte die Zeitung „Heute“ am 27. August groß am Cover, dass Natascha Kampusch nach Ansicht des „wichtigsten“ Zeugen, der Kampusch sage und schreibe zehn Minuten lang sah und ihr nicht half, „glücklich“ gewirkt hätte. Und stellt ganz bewusst ein Foto einer anderen hübschen jungen Frau darunter: „Catwoman. Die Füchsin wird zur Super-Katze“. Das ist Propaganda. Die Titelgeschichte über die Sklavenhaltung eines Mädchens mit erotisierendem Inhalt zu anderen Frauen zu bebildern und zu betexten, hat nicht nur in der „Krone“ lange Tradition. Hier wird „Freiwilligkeit“ suggeriert, wo keine Freiheit herrscht, sexuelle Anspielungen gemacht und einer von Gewalt Betroffenen heimliche Freude an der Sklaverei unterstellt.

In Wahrheit war es Liebe, denkt „Heute“. Eine Geburtstagstorte, die Priklopil backen ließ, wird dem „korrekten, genauen, verlässlichen, aber sehr schüchternen Entführer“ als liebevolle Geste hoch angerechnet. Außerdem: „Priklopil führte Natascha zu seinem Freund aus.“ Wie freundlich von ihm! So werden Frauen in ihrer Solidarität mit einem Opfer verunsichert.

„Sie war sicher verliebt in Priklopil“, sagt eine junge Frau in der U-Bahn-Station Rochusgasse. „Er war ihre einzige Bezugsperson. Es gab niemand anderen. Sie war noch zu klein, um den Unterschied zu erkennen.“ Die Liebesmessage kommt an. Aber was für eine Liebe soll das bitte sein, bei der das Objekt der Liebesbegierde jahrelang eingesperrt wird und nichts zu melden hat? Liebe? „Das Tabu dahinter, auf das indirekt angespielt wird, ist sicher Missbrauch“, sagt eine andere Leserin. Ein eventueller Missbrauch wurde nie in den Medien erwähnt, dieses „pikante“ Detail „fehlte“ bis heute. „Wenn gleich damals, als Natascha flüchtete, Missbrauch angesprochen worden wäre, wäre sie überhaupt nicht mehr glaubwürdig gewesen“, ist sich die Frau sicher. Natascha wäre wohl hinter den Klischees der Zeitungsmacher verschwunden. Doch auch diese Frau denkt, dass sich Kampusch den Medien aufdrängen würde. Von der Fritzl-Tochter höre man gar nichts.

Suche nach „sexueller Wahrheit“

Doch Journalisten fordern weitere Infos von Natascha. Aber was eigentlich, worum geht es? Heute-Chefredakteur Richard Schmitt schreibt in einer Kolumne: Bestärken (sic) doch der Inhalt dieser bisher von der Justiz verschlossenen Protokolle (über den Zeugen, Anm.) alle jene Österreicher, die der Meinung sind, in diesem Krimi passe doch so einiges nicht zusammen.“ Noch drei Jahre nach Nataschas erfolgreicher Flucht scheinen Journalisten, Juristen und eventuell auch Polizisten die „sexuelle Wahrheit“ hinter ihrer Einsperrung zu suchen. Wenn schon nicht bei Priklopil, dann wenigstens in der Herkunftsfamilie, in der das Leben ja laut Interview mit dem Leiter der Ermittlungskommission angeblich „noch schlimmer“ (?!) war.

Der „wichtigste Zeuge“ wusste bereits seit 1994, dass Priklopil Kinderpornos besitzt. „Heute“ dazu: „Der Freund erwies sich des Vertrauens würdig und behielt das Geheimnis für sich, erstattete keine Anzeige.“ Der „Kronzeuge“ kannte sogar das Verlies – für ihn anscheinend kein Grund, Fragen zu stellen.

„Im Grunde sei es eine herzerwärmende Geschichte“, sagte der Sklavenhalter von Jaycee Lee D. in einem Interview. Phillip Garrido hielt das Mädchen 18 Jahre in Geiselhaft, das erste Kind gebar sie mit 14 Jahren. „Sie hat mein Leben komplett verändert“, schwärmt der Mann aus der Haft heraus. Sexuelle Gewalt als Transzendenz-Erfahrung? Ehefrau Nancy half dem Täter angeblich, das Mädchen einzusperren – wohl noch eine Form von „wahrer Liebe“. Mal sehen, was „Heute“ daraus macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2009)

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