In der Community fehlt offene Debatte

Die Mehrheit der Muslime ist in der Burka-Debatte zwischen Islamisten und Rechtspopulisten zerrieben.

Dass die Themen Islam, Burkini- oder Burkaverbot aktuell nicht aus den Schlagzeilen kommen, hat mehrere Gründe. Es sind nicht nur der Westen und die christliche Welt, die den Islam kritisch hinterfragen und analysieren. Es sind vielmehr oft die Muslime selbst – vor allem wenn sie aus unterschiedlichen Ländern kommen –, die sich an diesen Themen die Zähne ausbeißen und sich Fragen stellen wie: Wie können wir als Muslime in Europa unsere Religion definieren? Können wir zum Beispiel die Mehr-Ehe zulassen, nur, weil einige Muslime das wollen?

Sollen wir zulassen, dass Frauen theologisch gerechtfertigt geschlagen werden dürfen, weil einige Muslime das so interpretieren? Sollen wir im Erbrecht muslimische Frauen benachteiligen, weil einige den Islam so interpretieren? Sollen wir uns für die Gründung eines islamischen Staats einsetzen, weil einige Muslime das als eine religiöse Pflichtaufgabe betrachten?

In der öffentlichen Debatte gibt es drei Positionen: Die erste wird von rechten Eiferern getrieben. Sie lehnen schon grundsätzlich alles, was auch nur islamisch klingt, ab. Angefangen vom Minarett- und Kopftuchverbot bis zur Forderung der Abschiebung aller Muslime, wollen sie Muslimen das Leben möglichst schwer machen und Integration behindern. Für diese Gruppen spielen aktuelle Ereignisse nur dann eine Rolle, wenn sie für die politische Haltung nützlich sind.

Die zweite Position ist die des politischen Islam. Auf den ersten Blick scheint sie nichts mit der Position der rechtsorientierten Gruppen gemeinsam zu haben. Doch sind sie sehr ähnlich. Denn auch für den politischen Islam à la Muslimbruderschaft und Co. spielen aktuelle Ereignisse nur dann eine Rolle, wenn man sie für die eigene politische Agenda instrumentalisieren kann. Auch die Islamisten scheuen keine Mittel, um ihre eigentliche politische Haltung mit einer vermeintlichen demokratischen Überzeugung zu vermarkten. Dabei missbrauchen sie den Islam – um den es ihnen eigentlich gar nicht geht – für ihre eigene Agenda.

Von den Vertretern des politischen Islam hört man oft Wortschöpfungen wie „populistisch“, „islamophob“ oder „Wir sind auch gegen Niqabs, aber wir sind auch gegen deren Verbot“. Unternimmt man den Versuch, solche Äußerungen zurückzuverfolgen, landet man schnell bei einschlägigen Organisationen des politischen Islam, bei Petrodollars und vom Ausland gesteuerten Interessen. Auch hier sind Populisten am Werk und gibt es keine Argumente, gibt es eine passende Fatwa.

Polarisierte Diskussionen

Schließlich gibt es auch eine dritte Position – die Muslime, die trotz aller Widerstände bereit sind, eine offene und konstruktive Debatte darüber zu führen, inwieweit die Vollverschleierung den Interessen der Muslime schaden könnte. Soll das Erscheinungsbild der vollverschleierten Frau wirklich als Ausdruck des Islam in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden? Leider ist es so, dass ausgerechnet diese Position in der polarisierten Debatte kein Gehör findet. Dabei geht es um Muslime, die sich für einen europäischen, aufgeklärten und fortschrittlichen Islam einsetzen wollen.

Nichts aber fürchten rechte Populisten und Islamisten mehr als derartige Fragen, daher schüren sie insgeheim ihre antiwestlichen oder antiislamischen Ressentiments und scheuen keine falsche oder verdrehte Wahrheit. Es bedarf also eines Aufschreis der schweigenden liberalen Muslime in Europa, wenn Extremisten über ihre Köpfe hinweg streiten, und es braucht eine kritische, offene Debatte innerhalb der Community ob das Verbot des Niqab akzeptiert werden soll oder nicht. Wenn eine solche Debatte innerhalb der Muslime nicht bald stattfindet – dann werden sie für die Gesellschaft auch weiterhin unglaubwürdig bleiben.

Die Autorin ist Studentin der islamischen Religionspädagogik an der Uni Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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