Schimon Peres' Vermächtnis: „Im Namen aller Optimisten“

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Ex-Kanzler Schüssel über eine bewegende Rede, die Peres erst neulich am Comer See hielt.

Vor Kurzem fand am Comer See, wie jedes Jahr, Ambrosettis European-House-Konferenz statt. Seit Jahren war Schimon Peres, Israels Premier, Präsident und Friedensnobelpreisträger, dort Stammgast. Als einziger Teilnehmer durfte er immer frei entscheiden, worüber und wie lange er reden wollte. Im Vorjahr wählte er das Thema Gehirnforschung, heuer sprach er über Europa – mit seiner unverwechselbaren Sprachmelodie. Faszinierend und tief berührend. Fast ein Vermächtnis, wenige Tage später streckte ihn ein Schlaganfall nieder; in der Nacht auf Dienstag starb dieser große Mann.

Im Folgenden fasse ich einige seiner Gedanken anhand meiner Mitschrift zusammen: Er protestiere gleich zu Beginn seiner Rede „im Namen aller Optimisten gegen die herrschende pessimistische Grundstimmung“. Die gesamte Entwicklung der Menschheit sei doch erfreulich. „Geschichte ist die optimistischste Sache unseres Lebens. Vor 10.000 Jahren gab es etwa 10 Millionen menschliche Vorfahren, bald werden wir 10 Milliarden sein.“ Eine gewaltige, vertausendfachte Herausforderung! Und Europa? Lange Zeit nur ein kleiner, hassgetriebener Kontinent. Nach den Weltkriegen sei Europa am Ende gewesen „und ist sich gar nicht der Erfolgsgeschichte der letzten Jahrzehnte bewusst. Euer Einkommen ist heute 50-mal höher als 1955“. (Kleiner Faktencheck: In der Tat ist die Wirtschaftskraft der heutigen EU von 360 Mrd. Euro im Jahre 1960 auf heute 16.000 Mrd. Euro gewachsen; die österr. Wirtschaft immerhin von sechs auf 374 Mrd. Euro).

„Auch Israel, 1948 gegründet, startete mit nichts, bitterarm, eigentlich hoffnungslos. 650.000 Juden – im Norden Moskitos, im Süden die Wüste. Umringt von 50 Millionen feindlichen Arabern, die uns zerstören wollten. Doch Israel wurde reich, eben weil wir nichts hatten – außer den Talenten, der Initiative und Innovation unserer Menschen. Wir haben die Wüste begrünt, die Ernten vervielfacht und massiv in Bildung und Forschung investiert.“

Ähnlich Europa: „Selbst die Ärmsten unter euch haben heute Wasser, Nahrung, Wohnungen. Und ihr habt etwas Sensationelles entwickelt – ein ,collective brain‘. Der europäische Traum der Wettbewerbsfähigkeit, des sozialen Zusammenhalts, der ökologischen Nachhaltigkeit lebt und wird auf der ganzen Welt geachtet. Und neuerdings beginnt eine Ära der Prognosefähigkeit. Wir können ziemlich genau vorhersehen, was kommt. Leider lehren unsere Universitäten hauptsächlich Vergangenes. Es gibt keine Schule der Zukunft. Auf die immer gleichen alten Fragen wird es aber kaum neue Antworten geben. Wer bessere Antworten sucht, muss lernen, neue Fragen zu stellen.“

„Wer gibt, gewinnt Freunde“

Im Nahen Osten beklagte Peres den bedrückenden Zustand der dort lebenden 400 Millionen Menschen. Armut, Unterdrückung der Frauen, Bildungsferne, Ignoranz, Korruption seien schuld daran. 60 Prozent der Bevölkerung seien jung, unter 25 Jahren. Nur ein kleiner Teil, ein paar Tausend, seien Terroristen, „aber Millionen wollen Frieden, Jobs, Bildung. Bekämpft nicht nur die Terroristen, sondern die Wurzeln des Terrors – Armut, mangelnde Bildung, Hoffnungslosigkeit.“

Und: „Die Welt von heute ist geteilt in ,givers‘ und ,takers‘. Amerika wurde groß als gebende Nation, sie schenkte der Welt viel – etwa den Marshallplan zum Wiederaufbau Europas. Wer gibt, gewinnt Freunde. Und nichts ist teurer und kostet mehr als Feinde. Daher mein doppelter Protest gegen den vorherrschenden Pessimismus und die alten Fragen. Denn die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit!“

Für mich sind diese Worte des großen Schimon Peres kostbar und eindrücklicher als mancher Nachruf. Sie dürfen nicht vergessen werden!
Wolfgang Schüssel war von 2000 bis 2007 Bundeskanzler Österreichs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2016)

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