Als in der Ukraine das Licht aus- und wieder anging

Erinnerungen an den Beginn des Aufstands auf dem Maidan vor drei Jahren.

Am 29. November 2013 – dem Tag, an dem der damalige ukrainische Präsident, Viktor Janukowitsch, eine Assoziierung mit der EU endgültig ablehnte – war ich in Kiew beim Konzert einer berühmten russischen Rockband. Es war ein Superkonzert. Ich war glücklich und euphorisch.

Nach dem Konzert gab es eine Afterparty. Wir wussten nicht, dass zur selben Zeit im Zentrum Kiews unsere Altersgenossen von einem Sonderkommando barbarisch zusammengeschlagen wurden. Janukowitschs politisches Motto hatte damals gelautet: „Mach das Licht an!“ Es war jetzt in das Gegenteil verkehrt worden: Das Licht ging aus – das Licht der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Am nächsten Morgen sah ich die Aufnahmen von der Prügelei. In dem Moment begriff ich nicht gleich, dass da ein Wendepunkt gekommen war: Die Zeit für den Beginn eines Kampfes war angebrochen. Eine Zeit lang war ich wie betäubt. Meine Euphorie durch das Rockkonzert transformierte sich zu der Frage „Wie kann das bloß sein?“ – und danach nur noch zu einer Tirade von Schimpfwörtern.

Doch schon an diesem Morgen strömten Menschen auf die Straßen. Ich war nicht in der ersten Reihe, aber ich war dabei. Ich sah verschiedene Fahnen, hörte verschiedene Sprachen, lauschte proeuropäischen und prorussischen Agitatoren und ihren Slogans über die Ukraine, über Europa oder die Freundschaft zu Russland. Die Leute waren sich einig: Ein Land, in dem Menschen derart brutal von der Staatsmacht behandelt werden, kann nicht unsere Heimat sein.

Ein Anschlag auf die Würde

Es ging nicht darum, in welche Richtung sich das Land außenpolitisch orientiert, sondern darum, was für ein Land das ist. Der Polizeieinsatz gegen Demonstranten war ein Verbrechen, ein Anschlag auf die Würde – also gegen das Innerste und Wichtigste, was ein Volk zusammenhalten kann. Und die Antwort des Volkes darauf war eine Revolution. Eine Revolution in den Herzen und in den Köpfen, eine Revolution der Würde.

Unseren Weg zu Ende gehen

Danach gab es auch Tote. Danach fiel der Feind in unser Land ein. Danach startete der Weg, den wir bis jetzt gehen – der Weg, den wir in unserer Hartnäckigkeit zu Ende gehen werden. Wir haben jetzt sowieso kein Recht, diesen Weg wieder aufzugeben.

Im Osten der Ukraine herrscht Krieg. Landauf, landab weinen oder bangen die Mütter Courage um ihre Söhne. Es ist schrecklich. Aber ich möchte nicht in Depressionen verfallen, ich möchte an das Positive glauben, ich denke an unsere Freiwilligen. Nicht nur die Volontäre, die auf vielfältige Weise unserer Armee helfen, sondern auch diejenigen, die sich die Zeit nehmen, neben ihrem Hauptjob in Schulen zu unterrichten, mit den Verwandten der gefallenen Soldaten zu reden oder sich irgendwie am Bau unserer gemeinsamen Zukunft zu beteiligen.

Wir haben eine Identität gefunden. 25 Jahre nach der Unabhängigkeit hat die Ukraine verstanden, dass eigenverantwortliche Politik die einzige Möglichkeit ist.

Damals, im Spätherbst 2013, gab es in Kiew noch ein Rockkonzert. Diesmal auf dem Maidan, Open Air, mit Hunderttausend Zuhörern. Und diesmal spielte Okean Elzy, eine der erfolgreichsten ukrainischen Bands aller Zeiten. Abertausende von Menschen hielten ihre Handys hoch, deren Lichter strahlten in der frostigen Dezembernacht. Es war dies ein romantischer Moment, an dem das politische Motto „Mach das Licht an!“ auf einmal wieder einen Sinn bekam.

Vadym Nagaychuk (geboren 1994 in Kiew) studierte am Institut für Internationale Beziehungen der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität. Er ist Assistent des Botschafters der Ukraine in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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