Bombenanschlag in Istanbul und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Österreich

Aus europäischer/ österreichischer Perspektive ist der Bombenanschlag nichts anderes als eine weitere der vielen innertürkischen Querelen. Dies ist aber ein Trugschluss.

Was haben die beiden Anschläge in Istanbul mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich zu tun? Auf den ersten Blick nichts. In einem zerrütteten, immer autokratischer werdenden Land geht wieder einmal eine Bombe hoch. Offiziellen Meldungen zufolge gibt es bis jetzt 38 Tote und 166 Verletzte. Verglichen mit dem Anschlag von Paris (130 Tote) und Nizza (86 Tote) ist das gar nicht so viel. Zur Tat hat sich auch nicht der IS, der Feind Nummer 1 der westlichen Zivilisation, bekannt, sondern die PKK-Splittergruppe TAK. Damit ist die Gräueltat einerseits „nur“ eine Attacke einer kurdischen Organisation, die sich gegen eine der vielen „Repressionen“ gegen die Kurden „wehrt“. Aus europäischer/ österreichischer Perspektive ist der Bombenanschlag demnach nichts anderes als eine weitere der vielen innertürkischen Querelen.

Dies ist aber ein Trugschluss, denn im Zeitalter der Globalisierung wird die Welt immer kleiner. Immer mehr Menschen verfügen über einen Migrationshintergrund und stehen mittels neuer technologischer Möglichkeiten mit ihrem Herkunftsland in engem Kontakt. Dies gilt selbstverständlich auch für die rund 300.000 Türkeistämmigen in Österreich. Unabhängig davon, ob sie österreichische oder türkische Staatsbürger sind, verfolgen sie die Geschehnisse in der Türkei und bewerten diese vor dem Hintergrund ihrer österreichischen Migrationserfahrung. Dabei werden innertürkische Angelegenheiten internationalisiert.

Im Sommer dieses Jahres hat Österreich im Zuge der Pro-Erdoğan Kundgebungen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei die Dimensionen dieser Internationalisierung gesehen. Man war über die vielen Menschen, das Fahnenmeer und die Gewaltausschreitungen schockiert. Man frage sich, was so viele türkeistämmige Menschen für diesen Mann auf die Straße treibt. Doch die Antworten darauf blieben dürftig, weil man sich mit der Dynamik der Prozesse nicht auseinandersetzte und der Frage nicht nachging, durch welche Brille die Mehrheit der türkeistämmigen Community in Österreich die Geschehnisse wahrnimmt.

Anstatt eine Antwort auf diese Frage zu finden, begnügte man sich mit dem schnellen Fazit: Die Türkeistämmigen in Österreich sind eben nicht genug integriert und bringen deshalb den türkischen Wahnsinn aus ihrem Getto auf österreichische Straßen.

Ich bin wahrlich kein Freund von Recep Tayyip Erdoğans Politik. Im Gegenteil ich verfolge die Geschehnisse in der Türkei mit großer Sorge. Mehr noch: Ich habe meinen persönlichen Schluss daraus gezogen und bin vor 2 Monaten nach 24-jährigem Istanbulaufenthalt nach Wien zurückgekehrt. Dennoch kann ich mir den Unmut der mehrheitlich konservativen Austo-Türken hineinversetzen. Sie haben in Österreich über die Jahre nämlich nicht nur Alltagsdiskriminierung erfahren, sondern fühlen sich auch von der Politik negiert.

Lassen Sie mich aus dieser Perspektive kurz den gestrigen Tag Revue passieren und die Wirkung von zwei österreichischen Polit-Postings auf die Austo-Türken erklären: Um 8.23 schrieb gestern Van der Bellen auf Facebook: „Heute ist der Internationale Tag der Menschenrechte. Rufen wir uns besonders heute den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung. Und machen wir es zu unserer gemeinsamen Menschenpflicht, jeden Tag danach zu handeln“ und postete dazu folgendes aussagekräftige Bild.

Ein Posting von Außenminister Kurz ging gestern in eine andere Richtung. Er schrieb: „Diese Woche geht es bei der Sitzung der EU-Außenminister um die Türkei. Dabei braucht es eine klare Reaktion der EU auf die massiven Menschenrechtsverstösse. Müssen die Beitrittsverhandlungen daher jetzt einfrieren, so wie es auch das europäische Parlament fordert. Werden die Gespräche nicht eingefroren, dann blockiert Österreich den Beschluss!” und unterlegte diese Wortmeldung mit einem Link von Spiegel-Online.

Auf den ersten Blick haben diese beiden Postings nichts miteinander zu tun. Auch ein Zusammenhang mit dem Bombenattentat scheint nicht gegeben. Durch die austro-türkische Brille sieht dies jedoch anders aus: Van der Bellen spricht sich für Menschenrechte und Solidarität aus. Rund 12 Stunden später gehen in Istanbul zwei Bomben hoch. Worte des Beileides und eine klare Aussage gegen Gewalt bleiben jedoch aus. Auch von Sebstian Kurz kommt nichts dergleichen. Er fordert nur das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen aufgrund der Menschenrechtsverstöße. Vor dem Hintergrund den vielen Terroranschlägen und Toten insbesondere seit 2015 ist die gemeinsame Message dieser Postings und Nicht-Postings aus der Sicht der Austro-Türken jedoch eindeutig: „Wir sind Menschen 2. Klasse, um uns und unsere Menschen schert sich niemand.“

Der Einzige, der diese Menschen immer wieder ganz konkret anspricht ist Erdoğan. Wir sollten uns deshalb nicht wundern, wenn diese Menschen dann für ihn auch auf die Straße gehen und sich mit ihm und seiner Türkei und nicht mit Österreich identifizieren. Aus diesem Grund rate ich allen, die sich gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich wünschen, bei Vorkommnissen wie am gestrigen Abend Menschlichkeit und Anteilnahme zu zeigen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.