Vom Ende der Freiheit

Die klassischen Medien haben ihre Deutungshoheit über das politische Geschehen abgegeben – und zwar aus purer Gier.

Wenn Stephan Russ-Mohl „Vom Ende der journalistischen Aufklärung“ („Standard“ vom 6. 12.) spricht, meint er die Rolle der Medien, die das ganze Debakel verursacht haben, das uns Donald Trump, Brexit & Co. bescheren. In Ländern, in denen die Presse vorwiegend aus geifernden Hyänen besteht, wie in Großbritannien, oder einem Trommelfeuer via TV, wie in den USA, ist es kaum verwunderlich, dass differenzierte Berichterstattung nicht mehr durchkommt. Die Journalisten sind jedenfalls da, und sie machen ihren Job.

In den anderen Ländern, in denen die Presse mundtot gemacht wird, Journalisten verfolgt, inhaftiert und sogar ermordet werden, können sie es nicht tun. Dort ist die Demokratie bereits abgeschafft. Der Backslash nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist dramatisch.

Vom ehemals sowjetischen Russland hätte man eh keine größere Freiheit erwartet, aber dass die laizistische Türkei dermaßen ins Steinzeitalter der Meinungs- und Medienfreiheit zurückgeprügelt wird, ist doch alarmierend. Und dann Ungarn, unser Nachbarland. Ungarn ist eine Art Vorbild für Rechtspopulisten in ganz Europa. Ungarn hat definitiv keine freie Presse mehr, die sich gegen illiberale Ordnung auflehnt, keinen TV-Sender, der Kritik üben könnte, bestenfalls ein paar Online-Medien, die ein kümmerliches Dasein fristen. Pure Gier war das Motiv des früheren österreichischen Eigentümers, die letzte Oppositionszeitung „Népszabadság“ einem Orbán-Freund auszuliefern.

Hysterische Blase

Wie kommt es, dass sich die Medien plötzlich fürchten und Journalisten Angst haben müssen, verhöhnt, verprügelt und eingesperrt zu werden, wenn sie ihre Rolle als Korrektiv der politischen Wirklichkeit wahrnehmen wollen? Datenspezialisten werden sagen, alles sei ganz klar: In den sozialen Netzwerken schaukeln sich Aggression, Wut und Hass auf – und richten sich gegen Politiker, Eliten und alle übrigen G'scheiten, die sich auf dem Rücken der Verlierer bereichern. Und diese hysterische Blase wird größer und größer.

Viele Bürger wünschen sich eine Totalreform des Systems, die Bändigung der Bürokratie, ein Ende der politischen Stagnation – und da kommen nun die Trollfabriken aus Russland und bezahlte Influencer und fluten die Netzwerke mit Fakeprofilen, Falschnachrichten und bösen Gerüchten. Aber nicht um zu reformieren, sondern um das System zu attackieren, ja zu zerstören. So sehr, dass es die klassischen Medien nicht mehr schaffen, dagegen zu halten. Denn die haben nicht nur Reichweite, sondern auch Glaubwürdigkeit verspielt.

Aber warum? Es ist ganz einfach. Es war die Gier. Wenn große Tageszeitungen Eigeninteressen verfolgen, machthungrige Medienmacher Anzeigenumsätze erpressen, wenn nicht die Wahrheitssuche im Mittelpunkt steht, sondern die Gefallsucht und Sensationslust – wie soll man solche Medien und ihre Vertreter als vertrauenswürdig einstufen? Den kritischen Journalisten wird man das wohl kaum vorwerfen können. Egal, wie ihre Existenzgrundlagen aussehen, sie werden sich – wo auch immer – weiterhin um journalistische Aufklärung bemühen.

Dr. Wilfried Seywald ist Kommunikationsberater in Wien. Er organisiert die Europäischen Toleranzgespräche vom 30. Mai bis 3. Juni 2017 in Fresach, bei denen über „Die Zukunft der Freiheit“ diskutiert wird.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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