Verlorene Wette ums Glück: Wo sind die Intellektuellen?

Post-Hollywood. Kultur ist ein weites Land, „Die Presse“ beweist das mit Pop, Helden und Stars aller Art. Zwischendurch ist aber Platz für mehr.

Wer einen Monat lang „Die Presse“ durchblättert, weiß: Filmsterne schaffen es mühelos auf den Ehrenplatz der Themenspalte auf der ersten Seite und manchmal auf die Aufschlagseite des Feuilletons. Das gilt nicht nur für die nahezu hundertjährig verstorbene Zsa Zsa Gabor, sondern auch für „amoralische Antihelden“ jüngeren Typs, TV-Serien der Briten über ihre Monarchie und die Hotel-Sacher-Story.

Jedes Mal sind Perfektionisten am Werk. Die schreiben dann über den zu jung verstorbenen George Michael: „Er war mehr als ein Teeniesänger, er war ein großer Crooner“, ohne zu erklären, was ein Crooner ist. Die Zeitung bzw. ihre Journalisten lassen sich vom Glanz und Schrecken der Society selten verführen. Das Sacher sei „in einem üppigen Zweiteiler schonungslos verkitscht“ worden.

Zwischen Computerfilmen, Exorzisten, Autojagden und Heavy Metal vermag „Die Presse“ aber auch auf Vorgänge hinzuweisen, die still, vielleicht unterschwellig und jedenfalls folgenreich die Gesellschaft verändern. Ich nenne drei positive Beispiele. Erstens arbeitet der Artikel „Die Kapitulation des Geistes“ heraus, warum die „Intellektuellen“ stumm und unwichtig geworden seien (5. 1.). Das gilt für Amerika, Frankreich, Deutschland und hinterlässt sogar in Österreich Spuren.

Hier nämlich seien im jüngsten Präsidentschaftswahlkampf keineswegs Paradeintellektuelle auf die Bühne geholt worden, sondern Volksmusikanten. Die Kandidaten stellten ihre Verbundenheit lieber mit Heimat und Haustieren dar als mit Gscheiterln. Man soll die Intellektuellen nicht verspotten, ihre Stimme hatte Gewicht, solange sie den Nerv des Augenblicks berührten. Das tun sie immer seltener. Ihr Bedeutungsverlust sei „Begleiterscheinung einer umfassenden historischen Verschiebung, eines politischen Wetterwandels“. Das will man lesen, um vielleicht zu ergründen, was dahintersteckt.

In einem zweiten Beitrag wird mit dem amerikanischen Politologen Mark Lilla „Der schiffbrüchige Geist“ beschworen (4. 1.). Es gäbe eine „Krise des revolutionären Denkens“, aber der Geist der Reaktion bleibe kräftig und gefährlich. Die Wette, dass mehr Freiheit mehr Glück bedeute, habe Europa verloren. Solche Deutungen passen gut zum Jahresbeginn.

Und knapp davor werden im dritten Beispiel die Modevokabel „post-truth“ und „postfaktisch“ säuerlich von Mund zu Mund gereicht. „,Post‘ sagt, wer nicht weiß, was Faktum ist“, lautet der Titel (28. 12.). Und irgendwo heißt es dann: Mit dem Schlagwort „Postmoderne“ sei die Gegenwart nur noch als etwas zu definieren, was sie nicht mehr ist. Womit freilich auch die Zukunft nahezu verspielt wäre.

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„Was kommt . . .“ übertitelt „Die Presse“ eine Schwerpunktausgabe zu Silvester (31. 12.). Interessant zu lesen, aber stellenweise auch verräterisch, was die Gültigkeit von Zukunftsdeutung betrifft. Was wurde nicht alles über die wirtschaftliche Selbstverstümmelung Großbritanniens durch Brexit angekündigt, aber jetzt liest man: „Brexit bremst die Briten nicht“ und: „Entgegen den Warnungen, dass Großbritannien bei einem Votum für den EU-Austritt in eine sofortige Rezession stürzen werde, brummt die britische Wirtschaft weiter kräftig.“

Hände weg von ökonomischen Hochrechnungen! Vielleicht gilt der Rat auch einmal für den Aufmacher „Diesel wird bis 2025 bedeutungslos“ (29. 12.). Wer weiß das schon. Aber wenn doch, dann hätte der gesamteuropäischen Studie ein Zusatz gut getan, der verrät, wie hoch der Prozentsatz von Personen und Firmen in Österreich ist, die auf die Veränderung des Antriebs ihrer Fahrzeuge gefasst sein müssen.

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In der dunkelsten Zeit des Jahres vertreiben im Salzkammergut Glöckler die Unholde und bösen Geister. Sie tun das in den zwölf Rauhnächten, schreibt „Die Presse“ (5. 1.). Bei aller Achtung vor alten Bräuchen – „rau“ hat in der Rechtschreibung das „stumme h“ verloren, also hat dieses auch in „Raunächten“ nichts zu suchen.

Dem folgenden Fehler, der ewig wiederkehrt, würde der Ehrenplatz in einem Rechtschreib- und Grammatikmuseum gebühren: Argentiniens Militärdiktatoren „schliffen jäh sämtliche Handelsschranken“ (28. 12.). Sie haben sie nicht blankgeschliffen, sondern geschleift, also entfernt.

Wenn ein Grammatikfehler sogar im Zwischentitel erhalten bleibt, lässt er sich nicht verschweigen: „Dahinterstecken soll die SPÖ, Tal Silberstein und eine ehemalige Neos-Mitarbeiterin.“ (8. 1.) Hier wird aufgezählt, also „sollen“ die Genannten dahinterstecken.

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Genauigkeit ehrt den Journalismus. Ein Bericht über eine Familientragödie beginnt mit dem Satz: „Wie eine verlassene Festung sieht es nun aus, das Haus der Familie B. am Wiener Stadtrand.“ (4. 1.) Das Haus liegt in Perchtoldsdorf und nicht in Wien. Weil Journalisten manchmal meinen, nur die Medien seien die Wirklichkeit, fließt flüssig in den Laptop: „Die Tatortfotos verschlugen auch erfahrenen Beamten vor Ort die Sprache.“ Recherchiert die Mordkommission „vor Ort“ bloß, indem sie Fotos betrachtet?

Zur Präzision gehört die richtige Wortstellung. „Währenddessen versammelten sich im Repräsentantenhaus die Abgeordneten zur großen Feierstunde der US-Demokratie samt Familie“ (5. 1.). Die US-Demokratie hat keine Familie, wohl aber können Abgeordnete samt Familie zum Fest kommen.

Ein Leitartikel maßregelt Syriens Machthaber, verwechselt aber Gut und Böse: „Klar ist aber auch, dass Syriens Regime schon in der Vergangenheit wenig skrupellos gegen jede Form von Opposition vorgegangen ist“ (16. 2.).

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Am Dativ-n mangelt es auf vielen Speisekarten, bloß von der Zeitung erwartet man mehr. „Natürlich gibt es sie noch, die Hütten, die Skifahrer mit Dosengulasch, Würstel oder Germknödel versorgen“ (8. 1.). Mit Würsteln und Germknödeln wäre alles richtig, der Rest ist Geschmacksfrage.

Vegane Wurst wiederum möchte der deutsche Ernährungsminister wegen begrifflicher Irreführung verbieten. Die „fleischlosen Produzenten“ sollten sich pflanzliche Namen überlegen, empfiehlt er (29. 12.). Wie sehen fleischlose Produzenten aus? Dürr.

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Hie und da steht im Sportteil eine kurze Meldung, über die ich sofort eine große Reportage lesen möchte. Uli Hoeneß, Präsident von FC Bayern München, fordert von seinem Team: „Es muss wieder Deutsch in der Kabine gesprochen werden, die Sprache ist ein Bindeglied“ (5. 1.). Wenn das in der verhaltensauffälligen Fußballkultur einer aus Spaniern, Türken, Brasilianern, Chilenen und nicht zu vergessen einem Österreicher zusammengesetzten deutschen Mannschaft so ruck, zuck funktioniert, dann könnte doch der restliche Teil der Gesellschaft lernen, wie Integration wirklich geht. Man müsste nur einmal genauer in die bayerische Kabine schauen.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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