„Schlimm ist die Zeit für den Glauben“

Sich auf das Christentum als Pfeiler unseres Wertesystems zu berufen ist eine gefährliche Drohung.

Weil die Zeit „schlimm ist für den Glauben“, haben sich die Verteidiger des „christlichen Abendlandes“ in der Diskussion um ein „Kruzifixverbot“ umgehend zu Wort gemeldet. Egal, ob Fast-Bundespräsident Erwin Pröll oder ÖVP-Chefideologe Andreas Khol – sie alle prophezeien einen „Werteverlust“, sollten Kreuze nicht mehr in den Schulen hängen. Sie alle erinnern an die „christlichen Wurzeln“ Europas.

Wo liegen diese Wurzeln? Sie führen uns in vorchristliche Epochen, das antike Griechenland etwa und die Römische Republik. Und, ja, sie führen uns auch zum christlichen Staatskirchentum, das im Römischen Reich ab 313 allein bestimmend war. Diese Wurzel bedeutet, dass der Kirche daran gelegen war, gemeinsam mit staatlichen Machtträgern vor allem die religiöse Konkurrenz (damals Heiden und Juden) auszuschalten.

Schließlich gab es letzte Woche eine noch verwegenere Argumentationslinie als jene von Pröll, Khol und Co. Der St. Pöltner Diözesanbischof Klaus Küng meinte, ein Kreuz sei „niemals ein Zeichen der Intoleranz“, sondern vielmehr „Ausdruck von Menschenrechten“. Mutig, der Herr Bischof – das Kreuz als „Ausdruck von Menschenrechten“. Das muss überprüft werden. Nein, nicht mit dem Hinweis auf die vom Papst begonnenen Kreuzzüge im Mittelalter, als Urban II. unter der Parole „Deus lo vult“ („Gott will es“) ein jahrzehntelanges Abschlachten von Juden und Moslems in die Wege leitete. Auch nicht mit dem Hinweis auf die neuzeitlichen Hexenverbrennungen und Religionskriege.

Gegen Widerstand der Kirche

Überprüft werden muss die These mit einem etwas genaueren Blick auf die Entwicklung der Menschenrechte, der Aufklärung und vor allem der Entstehung der demokratischen Staaten im 19. Jahrhundert. Die Entfaltung der Demokratie war begleitet von harten Auseinandersetzungen von aufgeklärten Bürgern mit dem absolutistischen Staat– und mit der katholischen Kirche.

Fundament unserer heutigen österreichischen Verfassung sind die liberalen Staatsgrundgesetze aus dem Jahr 1867. Mit ihnen begann die Entwicklung hin zum demokratischen Rechtsstaat. Das bedeutete, dass das damals bestehende Konkordat mit der katholischen Kirche teilweise außer Kraft gesetzt wurde – es ging vor allem um das Schulwesen, die Ehegerichtsbarkeit und die Gleichberechtigung der Konfessionen (damals zumal der protestantischen und der jüdischen). Zum Erhalt ihrer Vormachtstellung begannen die katholische Kirche und ihre Anhänger einen erbitterten Kulturkampf. Papst und Bischöfe riefen zum Widerstand gegen die liberale Verfassung auf. Der Linzer Bischof Franz Joseph Rudigier wurde sogar wegen „Störung der öffentlichen Ruhe“ vor Gericht gestellt und verurteilt. Dem Gefängnis entging er nur, weil er vom Kaiser begnadigt wurde.

Fast alle Errungenschaften der modernen aufgeklärten Gesellschaft wurden gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft. Aufgestanden ist die Kirche gegen die freie Meinungsäußerung, die Trennung von Staat und Kirche, die freie Ausübung nichtkatholischer Konfessionen und die Freiheit der Wissenschaft – alles nachzulesen im „Syllabus errorum“ von 1864. „Schlimm ist die Zeit für den Glauben“, hatte schon 1832 Papst Gregor XVI. gefunden, als er in seiner Enzyklika „Mirari vos“ zu den „Verwirrungen in Kirche und Staat“ Stellung nahm und seine Warnrufe gegen Demokratie, Presse-, Meinungs- und Gewissensfreiheit durch die Lande hallen ließ. Eine ganze Reihe päpstlicher Sendschreiben zur Bekräftigung des „Ewigen Gesetzes Gottes“ als Norm der Freiheit folgte – noch 1953 wollte Pius XII allem, „was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht“, kein Recht auf Öffentlichkeit zugestehen. Und was unter „Wahrheit“ zu verstehen ist, wurde natürlich von der Kirche definiert.

Also ganz ehrlich, Herr Bischof Küng: Hätten wir uns an die kirchlichen Vorgaben und Werte gehalten, Europa würde heute anders und nicht unbedingt besser ausschauen.

Gehen wir die Sache entspannt an, und lassen wir zu, was gerade konservative Politiker gerne einfordern: den Einsatz des gesunden Menschenverstandes. Schon Lessing hat uns in seinem „Nathan“ eindrucksvoll vorgeführt, dass sich die wahre Kraft jeder Religion in der humanen Praxis ihrer Mitglieder und nicht durch ihre politische Macht oder durch Symbole erweist.

Wir leben in einem Europa der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt. In Österreich steht es wie im übrigen Europa jedem frei, sich zu einem Glauben zu bekennen, skeptisch zu sein oder ohne religiöse Überzeugung zu leben. Da kann es nicht verwundern, dass vielen Menschen das Kreuz an der Wand einer staatlichen Institution als unzulässige Dominanz einer Idee unter vielen erscheint. Und in diesem Punkt sind sich nicht zuletzt auch die bedeutendsten österreichischen Verfassungsrechtler einig. Heinz Mayer und Bernd Christian Funk betonen, dass Kreuze in Schulklassen der Neutralität des Staates in religiösen Fragen widersprechen.

Wie christlich ist das Abendland?

Also: Es schaut nicht gut aus mit dem „christlichen“ Abendland, auf dessen Prinzipien sich eine demokratisch verfasste Öffentlichkeit angeblich berufen kann. Aufklärung und liberaler Rechtsstaat sind gegen den entschiedenen Widerstand der katholischen Kirche (der bis zum zweiten Vatikanum 1965 dauerte) durchgesetzt worden. Sich auf ein kirchlich verfasstes Christentum als Pfeiler unseres Wertesystems zu berufen verrät nicht nur Ignoranz – es ist eine gefährliche Drohung. Halten wir uns an Jesus: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes!“

Dr. Harald Walser (* 1953) ist Germanist,

Historiker und Bildungssprecher der „Grünen“. www.haraldwalser.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2009)

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