Sebastian Kurz - im Sog der Gefallsucht

Als Außenminister betreibt Kurz eine populäre Selbstinszenierung für das einheimische Publikum und hat damit im Ausland einen Vertrauensverlust riskiert. Als Kanzlerkandidat und Parteichef muss er sich neu erfinden.

Beim Antrittsbesuch eines neuen deutschen Außenministers bei seinem österreichischen Kollegen werden seit Jahrzehnten vor allem Nettigkeiten ausgetauscht und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Nachbarländern hervorgehoben. Als der neue Chef des Auswärtigen Amtes in Berlin, Sigmar Gabriel, im Februar im Außenamt in Wien Sebastian Kurz die Aufwartung machte, wurde dieses Tabu gebrochen. Der Niedersachse wies seinen Wiener Kollegen in ungewöhnlicher Form vor laufenden Kameras zurecht.

Den Vorschlag von Kurz, Lager für Migranten in nordafrikanischen Ländern wie dem Bürgerkriegsland Libyen zu errichten, hielt Gabriel für unrealistisch. „Ich rate dazu, nicht eine Welt zu malen, die nicht existiert“, sagte Gabriel in Anwesenheit von Kurz.

Das Außenamt als Sprungbrett

Was Gabriel nicht aussprach, aber meinte: Solche Vorschläge können zur populären Selbstdarstellung im eigenen Land dienen, aber nicht Europa bei der Bewältigung einer Jahrhundertaufgabe helfen. Mit versteinerter Miene hörte sich Kurz diese Kritik an.

Seit 2013 hat Sebastian Kurz alle Register gezogen, die das Amt des Außenministers für den Sprung ins Kanzleramt bietet. Der 30-Jährige besitzt ein ausgeprägtes Gespür für das Populäre, er hat im Kampf um die Aufmerksamkeit, die härteste Währung in der Politik, keine Gelegenheit ausgelassen.

Ein Beispiel ist die Übernahme des OSZE-Vorsitzes zu Jahresbeginn. Bei seiner ersten Dienstreise als OSZE-Vorsitzender ließ sich Kurz an die Front in der Ostukraine fliegen. In einer kugelsicheren Weste vor einem ausgebrannten Haus stehend, rückte er sich ins Bild. Den Trip in dem ostukrainischen Kriegsgebiet wählte er nach eigenen Worten aus, „um ein Signal zu setzen, dass wir uns auf diesen Konflikt fokussieren wollen“.

Er hätte sich die Reise sparen können. Denn ohnehin ist klar, dass dieser Konflikt zu den offenen Wunden in Europa gehört.

Solche Selbstinszenierungen beschädigen das Vertrauen in einen unparteiischen Vermittlers und stoßen wichtige Partner im Ausland vor den Kopf. Schließlich hat der OSZE-Vorsitzende die verantwortungsvolle Aufgabe, zu moderieren und zu verbinden – insbesondere im Ukraine-Konflikt. Die in Wien ansässige Organisation ist schließlich eine der wenigen diplomatischen Plattformen, wo die Kontrahenten Ukraine und Russland noch an einem Tisch sitzen.

Unter Kurz‘ Vorsitz herrscht trotz vollmundiger Ankündigungen weitgehend Stillstand in der OSZE. Wichtige Personalfragen wurden bis heute nicht geklärt. Mit Neuwahlen im Oktober droht der österreichische OSZE-Vorsitz endgültig zu versanden.

Permanenter Wahlkämpfer

Kurz erweist sich immer wieder als schwer berechenbarer Partner für das Ausland. Ein Beispiel war sein unerwarteter Wahlkampfauftritt in Mazedonien für den umstrittenen Premier Nikola Gruevski, zu dem er sich Ende 2016 hinreißen ließ. Das löste international Erstaunen aus. Denn mit seiner Anwesenheit bei der Wahlkundgebung in der Hauptstadt Skopje unterstützte er ausdrücklich einen ultranationalistischen Regierungschef, der das politische Klima in dem Balkan-Land vergiftet hat und dem wegen krimineller Machenschaften Gefängnis droht.

In Österreich ist der permanente Wahlkämpfer Kurz nach den letzten Meinungsumfragen der populärste Politiker. Auch in Deutschland besitzt er viele treue Fans, vor allem in Bayern. Mit seinen Auftritt in den Talkshows von ARD und ZDF hat er die Lücke gefüllt, die der unfreiwillige Abtritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hinterlassen hat.

Es gibt eine mediale Sehnsucht nach Vermittlung von populären Positionen, die nicht nach Stammtisch riechen. Kurz beherrscht dieses Spiel. Dass er mit seinen forschen Angriffen auf die Regierung in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bisweilen über das Ziel hinausgeschossen ist, nimmt er billigend in Kauf.

Dass er die Flüchtlingspolitik von Merkel als blauäugig bezeichnet hat, ist legitim. Dass Kurz aber unter den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann ohne Rücksprache mit dem Partner in Berlin die Schließung der Balkan-Route mit Ungarn, Serbien, Mazedonien, Slowenien und Kroatien mit organisiert hatte, hat das Vertrauensverhältnis mit Deutschland beeinträchtigt. Kurz‘ Drang zur medialen Selbstdarstellung geht – wenn notwendig – auch auf Kosten von Partnern. Das ist außerhalb Österreichs aufmerksam registriert worden.

Kurz ist kein Macron

Doch persönliche Karriereinteressen müssen in den Hintergrund treten, wenn Vertrauen und Kompromiss zu Verbesserungen internationaler Beziehungen gefragt sind. Außen- und Europapolitik darf nicht zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden – das gilt vor allem im ungemein schwierigen Verhältnis zur Türkei.

Die Strategie, jeden politischen Gaul zu reiten, der einen auf den Weg voranbringt, hat sich für Kurz bisher ausgezahlt. Sie bescherte dem Wiener eine Machtfülle in der eigenen Partei, von der seine Vorgänger nur träumen konnten. Doch aus der ÖVP wird keine Bewegung, und aus Sebastian Kurz kein neuer Emmanuel Macron. Denn im Gegensatz zu dem wirtschaftspolitisch erfahrenen Franzosen, der die Machtübernahme durch den Front National verhindert, ist Kurz bei einem Wahlsieg auf eine Koalition mit der rechtspopulistischen und europakritischen FPÖ angewiesen – wenn kein Wunder geschieht.

Verkrustetes Österreich

Wenn Kurz künftig Österreich regieren will, muss er sich aus dem Sog der Gefallsucht befreien. Große Politiker von Charles de Gaulle über Konrad Adenauer bis zu Michael Gorbatschow haben stets die Kraft zum Unpopulären besessen, um ihr Land nach vorne zu bringen. Österreich braucht dringend tiefgreifende Reformen, um wieder an die Spitze Europas zu kommen.

Genügend Rezepte liegen in den Schubladen der Parteien und Ministerien. Das Problem: Der neue Kanzler und seine Koalition müssen viele unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, verkrustete Strukturen des bisherigen Ständestaates aufbrechen und neue, vielleicht auch steinige Wege gehen. Dafür wird es an den Stammtischen nicht nur Applaus geben.

Auf dem diplomatischen Parkett der großen, weiten Welt lässt es sich leicht glänzen. Doch wenn Kurz dauerhaft als politischer Entscheider Erfolg haben will, muss er sein bisheriges Marketing-Paradigma auf Kosten anderer schleunigst verlassen. Denn in Politik und Wirtschaft entscheidet nicht der schnell vergessene PR-Effekt, sondern Nachhaltigkeit, Flexibilität und Ideenreichtum.

Kurz besitzt viele Talente für ein großes Amt. Sie können aber nur zur Entfaltung kommen, wenn der Kanzlerkandidat der ÖVP seinen bisherigen Trieb zur rücksichtslosen Selbstdarstellung überwindet. Denn sonst kann er sehr schnell einsam werden.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Dr. Hans-Peter Siebenhaar
(* 1962 in Thurn, Franken) studierte Politikwissenschaft, Theater- und Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte. Seit 2013 ist er Korrespondent des Handelsblatts für Österreich und Südosteuropa, seit 2014 Präsident des Verbandes der Auslandspresse in Wien. Im Zürcher Verlag Orell Füssli ist soeben sein Buch „Österreich – Die zerrissene Republik“ (271 Seiten, € 20,60) erschienen. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2017)

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