Gastkommentar

Mehr als nur Pflege: Neue Konzepte für Betreuung im Alter

Sozialpolitik beantwortet die veränderten Ansprüche mit alten Konzepten.

Der Bericht der Volksanwaltschaft über bestehende Mängel in der stationären Pflege, der Anfang Mai veröffentlicht wurde, hat für wichtige Reaktionen gesorgt. Der Ruf nach einheitlichen Qualitätsstandards auf Bundesebene wurde laut. Beides ist richtig, aber nicht ausreichend. Es braucht grundlegend neue Ansätze in Pflege und Betreuung, eine neue Perspektive und Aufstellung der Pflege in Österreich.

Die Ansprüche an die Pflege und Betreuung, aber auch die Umstände für die Erbringung der jeweiligen Leistungen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Unsere Gesellschaft ist individueller und heterogener, bunter und vielfältiger geworden. Diese Entwicklung trifft selbstverständlich auch auf Menschen im Alter zu.

Mittlerweile leben in Pflegeheimen zunehmend Menschen mit hohen Pflegestufen und/oder fortgeschrittener Demenz – die Betreuungssituationen am Lebensende verdichten sich.

Diese veränderten Ansprüche beantwortet unsere Gesellschaft immer noch mit Konzepten aus dem vorigen Jahrhundert. Das Pflegegeld wurde 1993 eingeführt, Pflegeheimstruktur und bauliche Konzepte der meisten Häuser stammen aus den 1980er-Jahren.

Keine andere Personengruppe würde sich einen so trägen Wandel bzw. eine so verzögerte Anpassung der Angebote an aktuelle Bedürfnisse gefallen lassen. Alte pflegebedürftige Menschen sind die einzige Personengruppe, die noch in derart großen Institutionen und Sonderwohnformen leben muss.

Im Fokus: Alltag und Wohnen

Für diese neuen Herausforderungen braucht es dringend neue bedürfnisgerechte Antworten – und die sozialpolitischen Rahmenbedingungen dazu. Internationale Beispiele gibt es dazu ja bereits zahlreich: Quartiersentwicklung, sozialräumliche Herangehensweisen, ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz, Gemeinschaftsbetreuung und vieles mehr. Neue Wohnkonzepte für Menschen mit hohem Pflegebedarf sind hier zentral. Wohnen, das ins Gemeinwesen integriert, das alltags- und bürgernäher organisiert ist.

Vom Rand in die Mitte

Deswegen ist die Kernfrage, bevor wir über Pflege reden, wie kann ich im Grätzel oder im Dorf den Sozialraum neu strukturieren und wie neue Wohnformen etablieren, damit ältere Menschen auch mit Handicap oder Demenz dort leben können. Die Pflege, die dazu nötig ist, ist eine zusätzliche Dienstleistung.

Pflegeheime werden auch weiterhin zu den Angeboten dazu gehören müssen, aber eben mit zeitgemäßen Konzepten und ausreichenden Ressourcen, um diesem Auftrag mit der gebotenen Qualität nachkommen zu können. Die unterschiedliche Ressourcenausstattung und divergierende Qualitätsstandards von „stationärer Altenarbeit“ in den Bundesländern sind dabei derzeit hinderlich.

Insgesamt aber müssen wir uns von der isolierten Pflege verabschieden und einen größeren Blick auf die Bedürfnisse älterer Menschen werfen – nicht nur aus medizinisch-pflegerischer (Cure), sondern aus allgemein sorgender Sicht (Care). Nicht nur ein ver-sorgendes, sondern ein mit-sorgendes Netz. In Zukunft geht es darum, Cure und Care zu verbinden.

Alte und Pflegebedürftige dürfen nicht weiter buchstäblich am Rand (aus lokal) bleiben, sie gehören in die Mitte der Gesellschaft. Wir haben uns dringend gesellschaftspolitisch darüber zu unterhalten, wie wir die Gesellschaft des langen Lebens gut gestalten wollen – und wie wir ein Altern in Würde sichern.

Pfarrer Mag. Michael Chalupka ist evangelischer Theologe und seit 1994 Direktor
der Diakonie Österreich, dem Sozialwerk
der evangelischen Kirche.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2017)

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