Replik

Die Hälfte vom Kuchen, den wir gebacken haben

Es ist Zeit. Nicht in die Schlacht zu ziehen, wohl aber unsere Stimmen zu erheben. Laut und deutlich und gemeinsam.

Vor knapp zwei Monaten ist eine Handvoll mutiger Frauen an die Öffentlichkeit gegangen, um mit dem neuen Frauenvolksbegehren den Finger auf unliebsame Wunden zu halten. Genau auf jene, die in der Tagespolitik gern durch den Rost fallen und denen in den Medien zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil sie besonders schmerzhaft sind. Verhütungsmittel, Unterhaltsregelungen, Betreuungsplätze, Quoten oder gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit machen keine Schlagzeilen, Gewalt an Frauen oder ihre ständige Sexualisierung schon gar nicht. Lebenswelten von Frauen, zwischen Selbstverwirklichung, Pflegebetreuung, Haushalt und prekären Arbeitsverhältnissen gehen schlichtweg unter.

Der an Johanna Dohnal angelehnte Titel der Präambel „Es ist Zeit“, begründet das Programm. Frauenpolitik ist bekanntermaßen eine Querschnittsmaterie. Da diese überall und oft nirgends verortet ist, scheint die in Österreich eh schon langsam tickende Uhr beinahe still zu stehen.

Wenn dann auch noch ein gesellschaftlicher und medial propagierter Grundkonsens darüber herrscht, dass Frauenpolitik immer „übertrieben“ ist und „über's Ziel hinausschießt“, können Forderungen wie jene des Frauenvolksbegehrens nur schwer verhandelt werden.

Zeit für Solidarität, Schwester

Wir Initiatorinnen wollen es trotzdem wagen und stellen uns der Kritik. Nur konstruktiv sollte sie sein – und bitte inhaltlich korrekt. Gut also, dass mittlerweile klar gestellt wurde, dass das gesetzte Ziel mit 175.000 Euro deutlich überschritten wurde. Nie hat ein Volksbegehren innerhalb weniger Wochen eine Finanzierung in dieser Höhe aufgestellt. Damit beginnt für uns eine breite gesellschaftspolitische Arbeit, die unabhängig sein will und sich deswegen direkt an die Bevölkerung wendet. Wir Initiatorinnen sagen Danke für jede Unterstützung, die kam und kommen wird.

Fast 52 Prozent der Bevölkerung sind Frauen, und damit ist klar, dass es sich wohl kaum um eine homogene Gruppe handeln kann. Genauso verhält es sich auch mit den Initiatorinnen des neuen Frauenvolksbegehrens.

Wir sind keine Emanzen oder eben doch, wir entscheiden selbst, ob wir mit brennenden BHs um uns werfen oder nicht. Wir sind Mütter, die händeringend nach flächendeckender und qualitativ hochwertiger Betreuung für jedes Kind begehren und sich freie Entfaltung jenseits von Geschlechterstereotypen für jeden ihrer Sprösslinge wünschen. Wir sind armutsgefährdete Frauen, die mit oder ohne Kinder versuchen, jedes Monat aus einem Euro drei zu machen. Wir sind Alleinerzieherinnen, die kompromisslose Chancengleichheit für alle verlangen. Wir sind atypisch beschäftigte Frauen, die nicht mehr zu einem Stundenlohn arbeiten wollen, der bis zu acht Euro unter dem österreichischen Durchschnitt liegt.

Wir sind junge Frauen, denen anonyme Beratung und Zugang zu Verhütungsmitteln, Schwangerschaftstests und zu rechtlich zulässigem Schwangerschaftsabbruch ermöglicht werden soll. Wir sind arbeitende Frauen, die es satt haben sich zu rechtfertigen und gefragt zu werden, warum sie Karriere machen und vielleicht trotzdem Kinder oder eben keine haben wollen. Wir sind Großmütter, die ihre Kinder und Enkelkinder schützen möchten und verlangen nach staatlich finanzierter Gewaltprävention.

Utopie im Realitycheck

Ohne Frage ist das Frauenvolksbegehren als Bewegung noch jung und im städtischen Bereich verortet. Derzeit wird weiter nach Kräften daran gearbeitet, sich nicht nur breiter aufzustellen, bunter und diverser zu werden, sondern die Kontakte zu bestehenden Frauenvereinen in den Bundesländern zu intensivieren. Schon mit den Forderungen sind die Beziehungen zu diversen NGOs und Vereinen österreichweit aufgenommen worden. Genau jene, die ExpertInnen der Frauenanliegen sind, wurden zu Rate gezogen und gefragt, welche Veränderungen es brauchte, um Frauen in Österreich zu unterstützen und faire Lebensbedingungen zu schaffen – so und nicht anders sind die 15 Forderungen entstanden.

In drei Bereichen – politische Teilhabe und öffentlicher Raum, Arbeit und Wirtschaft, Familie und Gesundheit – kommen sie daher. Sie erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit – ein solches Frauenvolksbegehren hätte wohl mindestens 100 Forderungen benötigt – warten aber wohl darauf, diskutiert und später kompromisslos umgesetzt zu werden.

Was uns deutlich gesamtgesellschaftlich weiterbringen würde und für uns weder „weltfremd“ noch „ohne Relationen“ ist, sind Gratis-Verhütungsmittel. Österreich ist das einzige Land in Westeuropa, in dem weder der Schwangerschaftsabbruch noch die Verhütungsmittel von der Krankenkassa bezahlt werden. Die Folge davon ist nicht nur eine Verschärfung von sozialen Problemen, sondern auch eine hohe Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen. Dieser Zusammenhang, lange bekannt, ist offenbar von politischen EntscheidungsträgerInnen so gewollt.

Wenn Frauen die Kosten für Verhütung, die im Fall einer Hormon- oder Kupferspirale bis zu 500 Euro auf einen Schlag betragen können, wird körperliche Selbstbestimmung zu einer Frage der finanziellen Ressourcen. Wie der österreichische Verhütungsreport 2015 zeigt, hätten sich 48 Prozent der Frauen für eine andere Methode entschieden, wenn es in Österreich Verhütungsmittel kostenlos über die Krankenkassa geben würde. Insbesondere junge Frauen zwischen 16 und 20 Jahren (58 Prozent) würden das Angebot der Kostenübernahme wahrnehmen. Das zeigt, wie mehrheitsfähig die Forderung danach ist.

Neubewertung von Arbeit

Sowohl diese Forderung als auch jene nach einem fairen Mindestlohn und einer 30-Stunden-Woche sind feministische Anliegen. Frauen arbeiten überproportional oft im Niedriglohnsektor und übernehmen den Großteil der unbezahlten Arbeit. Ein Mindestlohn von 1750 Euro würde ihre Situation verbessern sowie vor Altersarmut schützen. Wenn selbst Business-Festivals wie 4 gamechangers und das Pioneer Festival die Frage stellen, wie wir mit Arbeitszeit in einer digitalisierten Welt umgehen, dann sollten die Initiatorinnen eines neuen Frauenvolksbegehrens erst recht den Diskurs über eine Neubewertung von Arbeit aufmachen.

Und wie Johanna Dohnal so schön sagte: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ,weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündeleien und Weiblichkeitswahn.“

DIE AUTORINNEN

Agnes Hunyadi, diplomierte Psychologin, sie bringt als Kommunikationsexpertin seit über zehn Jahren erfolgreich Menschen zusammen.

Lena Jäger, Lehrende & Consultant, in Funktion der Kampagnenleitung des Frauen*volksbegehrens, Vorstand Grüne Frauen

Viktoria Spielmann, Arbeitsmarktpolitik für Frauen (AMS), Mitinitiatorin Frauen*volksbegehren, ehemalige ÖH-Vorsitzende (Gras), Grüne Frauen

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2017)

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